Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Was tun, wenn die Luftsäcke aufblähen?

Luftsacktympanie beim Fohlen

Aufgeblähte Ganaschen, Schnarchgeräusche, Milch, die aus den Nüstern rinnt – die Anzeichen einer Luftsacktympanie sind eindeutig. Wenn sie auftreten, gilt es schnell zu handeln. Alles über die Krankheit – ihre Ursache, Diagnose und Heilungschancen.

Von der Luftsacktympanie sind neugeborene Fohlen betroffen. Die Erbkrankheit kann zu Schluckstörungen und einer Lungenentzündung führen.

Das Klopfen auf die ballonartigen Ganaschen klingt wie das Pochen auf eine Trommel. Angestaute Luft macht den Bereich zwischen Kopf und Halsansatz ungewollt zum Schlaginstrument. Ein typisches Bild einer Krankheit, die in erster Linie Fohlen betrifft und nicht etwa durch Viren übertragen, sondern vererbt wird: die Luftsacktympanie. Doch zunächst zum Ort des Geschehens: die Luftsäcke. Sie sind eine Eigenheit der Equiden, also der Pferde, Esel, Zebras. Nashörner und Tapire haben als entfernte Verwandte des Pferdes auch Luftsäcke. Die Luftsäcke sind Aussackungen der Ohrtrompete (Eustachische Röhre), der Verbindung zwischen Mittelohr und Rachenraum. Hier findet der Druckausgleich statt. In deutlicher Form nehmen wir Menschen den Druckausgleich im Flugzeug war, bei Start und Landung – sobald wir schlucken, nimmt der Druck im Ohr ab. Gäbe es den Ausgleich nicht, würde das Trommelfell schmerzhaft überdehnen. Dieser Druckausgleich ist ein ständiger Begleiter, er passiert automatisch – bei Mensch und Tier. Nur dass ein Teil der Eustachischen Röhre beim Pferd eben diese besondere Form einer Aussackung hat.

Maßgeblich am Druckausgleich beteiligt ist die Luftsackklappe, die Pforte zum Luftsack. „Sie verhindert auch, dass Keime oder Bakterien in den Luftsack eindringen – ein natürlicher Verschlussmechanismus. Wenn die Pferde schlucken, öffnet sich diese Klappe und es kommt zu einem Druckaustausch zwischen der Luft im Rachenraum und der Luft im Luftsack“, erklärt Professor Dr. Bernhard Ohnesorge von der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TIHO). Bei der Luftsacktympanie ist nun genau dieser Verschlussmechanismus defekt. Weil ein Bauteil der Klappe, eine einfache Schleimhautfalte, zu groß geraten ist. „Diese Missbildung führt dazu, dass Luft in den Luftsack beim Schlucken hineingelangt, aber immer etwas weniger wieder hinaus. Dadurch sammelt sich immer mehr Luft und die Luftsäcke überblähen“, veranschaulicht der Fachtierarzt für Pferde.

Klare Anzeichen

Die Luftsacktympanie betrifft vor allem neugeborene Fohlen. „Die jüngsten Fohlen, die uns vorgestellt werden, sind fünf, sechs Tage alt, manchmal auch zwei, drei Wochen. Aber es ist eigentlich ein Phänomen, dass relativ früh nach der Geburt auftritt. Manche Besitzer und auch Tierärzte warten dann und denken, es verliert sich wieder. Aber das tut es praktisch nie. Es soll Einzelfälle geben, wo die Tympanie ohne Behandlung abgeklungen ist – mir ist aber kein gesicherter Fall bekannt.“ Das Krankheitsbild ist eindeutig, sagt Professor Ohnesorge, schon am Telefon könne man relativ sicher mit den richtigen Fragen auf eine Luftsacktympanie schließen. Nicht zu übersehen ist die Wölbung im Ganaschenbereich – die Fohlen gleichen einem Frosch, der die Backen bläht. „Die Fohlen zeigen ein lautes, schnarchendes Geräusch, weil die Überblähung nicht nur nach außen drückt, sondern auch auf das Rachendach. Das hört sich zum Teil dramatisch an, aber erstickt ist meines Wissens noch kein Fohlen daran“, weiß der Experte aus Hannover. „Das Schnarchen muss nicht ständig zu hören sein, es kann abklingen und wieder lauter werden.“ Problematischer sei eher die Schluckstörung, die bei der Tympanie entsteht. „Die Fohlen schlucken zum Teil die aufgesaugte Milch oder das Futter nicht vollständig in die Speiseröhre ab“, sagt Ohnesorge. Hat sich bereits Flüssigkeit aus Milch, Futterteilen und Schleim in der Luftsackschleimhaut angesammelt, hört man ein Schwappen aus dem Luftsack, wenn man dagegendrückt. Das Risiko ist dann hoch. „Denn so gelangen immer mehr Futter und Milch auch in die Luftröhre und die Lunge. Das heißt, die Fohlen erkranken dann an einer sogenannten Aspirationspneumonie, also einer Lungenentzündung. Nicht behandelte Fohlen mit Luftsacktympanie sterben nicht etwa an Atemnot, das lebensbedrohliche Risiko ist die Lungenentzündung“, warnt Ohnesorge. Haben die Fohlen eine Schluckstörung, haben sie mitunter auch mal einen milchigen Nasenausfluss nach dem Saugen bei der Mutter. „Dann husten sie auch nach dem Trinken. Das ist immer ein Zeichen, dass eine Lungenentzündung droht“, sagt Ohnesorge.

Beim Saugen kann bei Fohlen mit Tympanie Milch in die Lunge geraten.

Fohlen mit Verdacht auf Luftsacktympanie sind immer ein Fall für die Tierklinik. Dort können die Tierärzte die Diagnose mit dem Blick ins Pferd absichern. Ein Röntgenbild kann Luft- und Sekret-Ansammlungen darstellen. In der Regel kommt aber das Endoskop zum Einsatz. „Im Rachen sieht man, wie das Rachendach herabgedrückt wird. Ein Luftsack erscheint meistens deutlich vergrößert, der andere verengt, weil sich die Trennwand zwischen den beiden Luftsäcken zu einer Seite vorwölbt. Zusätzlich sieht man Sekretansammlungen in den Luftsäcken“, beschreibt Professor Ohnesorge die typischen Bilder der Luftsacktympanie. In Fachkreisen herrscht noch keine Einigkeit darüber, ob die Tympanie ein ein- oder beidseitiges Phänomen ist. Aktuell gehen die Experten davon aus, dass beide Seiten betroffen sind, aber immer eine stärker als die andere. „Und so muss man auch die Behandlung ausrichten, um die Krankheit abklingen lassen zu können.“

Loch mit Wirkung

Die Luftsacktympanie gehört in tierärztlichen Kliniken und Praxen nicht zum Alltagsgeschäft, zu selten tritt sie auf. In Hannover beschäftigt man sich aber seit Jahren mit ihr und ihrer Therapie. Es gibt heute verschiedene Möglichkeiten. Professor Ohnesorge: „Was nicht funktioniert, aber von manchen Tierärzten noch versucht wird, ist, von außen ein Loch reinzumachen und die Luft abzulassen. Denn so lange das Loch vorhanden ist, bleiben die Luftsäcke klein. Aber in dem Moment, wo sich das Loch verschließt, tritt die Tympanie wieder auf.“

Erfolgversprechender sind chirurgische Eingriffe, die über Jahre weiterentwickelt wurden. Zunächst arbeiteten die Chirurgen am narkotisierten Fohlen von außen. Heute scheint ein minimalinvasiver Eingriff am stehenden, sedierten Fohlen der effektivste und erfolgreichste Weg zu sein. „Das ist für die Fohlen weniger belastend, es geht schneller und für den Chirurgen ist es angenehm, das Fohlen auf Brusthöhe vor sich zu haben. Eine Narkose ist nicht erforderlich und sie möchte man gerade bei einer beginnenden Lungenentzündung vermeiden“, so der Tierarzt. Der Chirurg arbeitet dabei mit einem Endoskop und einem Laser. „Man brennt erst mal ein Fenster in die dünne Trennwand zwischen den beiden Luftsäcken, man „fenstert“ sie. Der zweite Schritt ist, die Schleimhautfalte mithilfe des Lasers zu kürzen“, beschreibt Ohnesorge. Die Wirkung ist enorm: Nach der Operation ist die Tympanie Geschichte. „Manchmal schnarchen die Fohlen danach noch, weil das Gewebe anfangs von der Tympanie ausgeleiert ist, aber das verliert sich üblicherweise nach zwei bis vier Wochen.“ Bei etwa 95 Prozent liegt die Erfolgsquote laut Ohnesorge. Eine frühere Verlaufsstudie zeige zudem, dass die Pferde auch später im Sport voll einsatzbar sind.

Sport ja, Zucht nein?

Eine Einschränkung gibt es am Ende doch. „Wir raten Besitzern davon ab, betroffene Fohlen später in der Zucht einzusetzen“, sagt Ohnesorge. Heute weiß man, dass die Luftsacktympanie eine erblich bedingte Erkrankung ist. Stutfohlen sind häufiger betroffen als Hengste, bei Arabern hat sich die Tympanie verbreitet, aber auch bei Warmblütern kommt sie vor. Und alle betroffenen Fohlen sind irgendwie entfernt verwandt. „Die betreffenden Stellen auf den Chromosomen kennen wir mittlerweile“, berichtet Ohnesorge. Das Forschungsprojekt an der TiHo Hannover zum Thema Luftsacktympanie geht deshalb weiter. Ein Gentest, ob eine Stute oder ein Hengst das Risiko in sich trägt, soll Zukunftsmusik sein. Und die klingt weitaus besser als das Trommeln auf den aufgeblähten Ganaschen eines Fohlens.

Kranker Luftsack

● Luftsacktympanie: betrifft in erster Linie neugeborene Fohlen; eine Erbkrankheit, bei der die Luftsäcke extrem aufblähen und die zu Schluckstörungen und zu einer Lungenentzündung führen kann.

● Druse: bei Pferden jeden Alters möglich. Bei dieser fieberhaften Infektionskrankheit, die durch Streptokokken übertragen wird, sind neben den Lymphknoten der Unterkieferäste auch die der Luftsäcke betroffen. Sie schwellen an, bilden eitrige Abszesse, diese wiederum können aufbrechen.

● Luftsackmykose: Vor allem bei erwachsenen Pferden kann diese Pilzinfektion im Luftsack auftreten. Die aggressiven Pilze wachsen in der Schleimhaut und zerstören die großen Blutgefäße im Luftsack sowie wichtige Gehirnnerven, die durch den Luftsack ziehen.

● Weitere Krankheiten: Schleimhautentzündungen, Melanome, Tumore

Die Luftsäcke ...

Die Luftsäcke ...

... sind eine Besonderheit der Equiden

... sind als Paar angelegt, der linke ist vom rechten Luftsack durch eine Trennwand geteilt

... haben ein Fassungsvermögen von 400 bis 600 Milliliter Luft pro Seite

... heißen auf lateinisch: Diverticula tubae auditivae

... haben laut einer Studie die Funktion, das Blut auf dem Weg zum Gehirn zu kühlen. „Durch die Luftsäcke verlaufen große Blutgefäße, Abzweigungen der Halsschlagader. Weil sie durch diesen luftgefüllten Raum fließen, ist das Blut kurz vor dem Eintritt in das Gehirn, das sich am Dach des Luftsackes anschließt, etwas kühler“, erklärt Prof. Dr. Bernhard Ohnesorge. Für ihn ist jedoch eine andere These, warum es die Luftsäcke beim Pferd gibt, schlüssiger: Weil sie als variable Platzhalter für das Fluchttier Pferd dienen. „Beugt das Pferd den Kopf, werden die Luftsäcke zusammengedrückt, der Rachenraum wird enger. Sobald das Pferd dann schluckt, öffnen sich die Klappen zu den Luftsäcken und der Rachenraum wird wieder etwas weiter. Dadurch wird die Luftströmung weniger beeinträchtigt, weil die Luftsäcke als Ausweichbereich dienen.“