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Leseprobe: Maßstäbe bei Schauen, Körungen und Championate

Falsche Schönheitsideale

Stark ausgeprägte Muskeln bei jungen Pferden, dick gefütterte Rassen – noch immer gibt es auf diversen Veranstaltungen unausgesprochene Vorgaben, um vorne mitmischen zu können. Tierschutzrelevant? In einigen Fällen schon.

Prachtkerl! Ohne Frage. Aber für einen zweieinhalbjährigen Hengst schon ein echter Muskelprotz.

Modelmaße gibt es auch bei Pferden. Und die sind nicht immer nur der Gesunderhaltung dienlich, sondern wie bei Menschen auch, viel häufiger der Optik. Das Thema ist nicht neu. Bis in die Antike lässt sich die Suche nach den unterschiedlichen Schönheitsidealen des Pferdes zurückverfolgen. Die Sonderausstellung „Das perfekte Pferd? Pferdebeurteilung im Wandel der Zeit“ im Deutschen Pferdemuseum in Verden zeigte 2019 eindrucksvoll, wie sich über die Jahrhunderte diverse Schönheitsideale gebildet haben und welche Maßnahmen teils ergriffen wurden, um diesen gerecht zu werden. Heutzutage sind es vor allem rassetypische Schönheitsnormen, an denen das eigene Pferd gemessen wird. Das führte in der Vergangenheit zu gesundheitsbeeinträchtigenden und tierschutzrelevanten Manipulationen, um bei Defiziten in der Optik dem jeweiligen Rasseideal zu entsprechen. Ist man heute schlauer? Ja und nein. Es ist fraglos seltener geworden, aber rasseübergreifende, teils verbotene Tricks sind in manchen Szenen noch üblich, um Pferde „aufzuhübschen“.

Massig erfolgreich

Eine ausgeprägte Bemuskelung und wohlgerundete Körperformen gelten beispielsweise für Kaltblüter oder einige Pony- und Barockpferderassen als typisch und werden als Maßstab der Qualität angesehen. Vor rund 20 Jahren war es auch in Deutschland Standard, dass beispielsweise bei Welsh-Pony-Schauen bei speckig gefütterten Pferden von „idealer Schauform“ die Rede war. Dass eine mangelnde Körpermasse von einigen Züchtern durch gezielte Auffütterung wettgemacht wird, um sich auf Zuchtschauen Vorteile gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen, ist Dr. Friederike Hänsch vom Arbeitskreis Pferd der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) heute nicht mehr geläufig und dürfte sich nach ihrer Einschätzung zumindest hierzulande auf Einzelfälle beschränken. Das ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass mögliche gesundheitliche Folgen inzwischen hinlänglich bekannt sind. „Die Auffütterung geschieht in der Regel über Kraftfutter. Hohe Gaben erhöhen das Risiko von Magengeschwüren, Koliken, Hufrehe sowie Verhaltensstörungen infolge des meist damit verbundenen Raufuttermangels“, erklärt die Veterinärin. Besteht das Übergewicht über einen längeren Zeitraum, könne sich zudem die Stoffwechselkrankheit Equines Metabolisches Syndrom (EMS) entwickeln.

„In den USA soll diese Methode aber immer noch verbreitet sein und zum Beispiel beim American Quarter Horse für die Western-Disziplin Halter gezielt stattfinden“, hat Hänsch von einem Insider der Szene erfahren. Hintergrundwissen: In der Disziplin Halter werden die Pferde an der Hand (am Halfter = Halter) vorgestellt. Bewertet wird das Exterieur mit besonderem Augenmerk auf rassetypische Merkmale des American Quarter Horse wie etwa eine starke Muskulatur besonders an der Hinterhand. Die Pferde werden innerhalb einer kurzen Trabphase einzeln auf die Korrektheit des Gangwerkes geprüft und anschließend in der Gruppe hintereinander aufgestellt und vom Richter verglichen. Die Halter-Klassen werden nach Geschlecht und Alter unterteilt sowie von den Reitklassen (= Performance-Klassen) unterschieden. Da die Rasse über die Jahre verstärkt für spezielle Einsatzzwecke gezüchtet wurde, veränderte sich den Disziplinen entsprechend das Exterieur und Zuchtziel der verschiedenen American Quarter Horse Typen. „Pferde der Disziplin Halter sind in der Regel besonders korrekt gebaut, sehr stark bemuskelt und entsprechen dem Zuchtziel des American Quarter Horse nahezu vollständig. Im Gegensatz zu den USA gibt es in Deutschland so gut wie keine reinen Halter-Pferde. Deutsche Halter Champions sind gleichzeitig gute Performance Pferde“, heißt es auf der Webseite der DQHA.

Früh fertig aussehen

Bevor jetzt aber Züchter und Aufzüchter des Deutschen Warmbluts verständnislos den Kopf über andere Länder und Rassen schütteln, sollte man sich klarmachen, dass auch hierzulande anstatt ihrem Alter entsprechend entwickelte Jungspunde häufig muskulöse Pferdeathleten in Erwachsenen-Optik auf Zuchtschauen, Körungen und anderen Veranstaltungen vorgestellt werden. „Die jungen Warmblüter sollen schon mit zweieinhalb möglichst „fertig“, also voll entwickelt aussehen, um bessere Chancen im direkten Vergleich mit Gleichaltrigen zu haben und gute Vermarktungsmöglichkeiten zu bieten“, kritisiert Dr. Hänsch. Um dieses Ziel zu erreichen, achten viele Züchter bereits auf frühe Bedeckungs- und entsprechende Abfohltermine meist noch in den Wintermonaten. In der Aufzucht folgt dann manchmal eine zu energiereiche Fütterung, um schnelles Wachstum zu forcieren.
Da sich aber die Muskelbildung nicht allein über den Futtertrog bewerkstelligen lässt und mehrere Monate braucht, „lässt eine stark ausgebildete Muskulatur von zweieinhalbjährigen Pferden einen zu frühen Trainingsbeginn vermuten, der durch entsprechend früher Belastung des Skeletts mit vorzeitigen Verschleißerscheinungen einhergehen kann“, erläutert die Fachtierärztin für Tierschutzkunde. Zudem stelle sich die Frage nach möglicherweise unterstützenden Mitteln zur Muskelbildung.

Welche falschen Schönheitsideale es in der Pferdewelt noch gibt und welche Probleme diese noch mit sich ziehen, lesen Sie in unserer Oktoberausgabe. Die gibt es im Einzelhandel. Sie können das Heft aber auch ganz einfach und versandkostenfrei bestellen.