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Chronischer Husten – Krankheit mit vielen Gesichtern

Bis zu 80 Prozent der älteren Pferde in Reitställen sind bereits an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis erkrankt, schätzen Experten. Viele Pferdebesitzer ahnen davon nichts. Andere leiden mit. Weil der Husten immer wiederkehrt, die Luft fürs Pferd knapp wird. Über die Gesichter der Krankheit COB und wodurch sie wirklich entsteht.

Sie kommt auf leisen Sohlen. Ihre ersten Anzeichen werden meist unterschätzt. Erst wenn sie sich herangepirscht hat, wenn sie da ist, dann bleibt sie – und wird immer schlimmer: die chronisch-obstruktive Bronchitis (COB). Ihr Hauptsymptom ist der Husten. Doch die COB hat viele Gesichter, man sollte sie kennen.

Atemwegserkrankungen machen etwa 40 Prozent aller internistischen Erkrankungen aus. Die Spezialisten unterscheiden in erster Linie, ob es sich um eine infektiöse oder nicht infektiöse Krankheit handelt. Bei der chronisch-obstruktiven Bronchitis, die mit Abstand das Gros der Bronchitiden ausmacht und vor allem bei mittelalten bis alten Pferden ab zehn Jahren vorkommt, handelt es sich um eine nicht-infektiöse und damit auch nicht ansteckende Erkrankung.

Von einem Extrem ins andere

Die Atemwege zeigen eine Überreaktion auf inhalierte Staubpartikel, Schimmelpilzsporen, Endotoxine. Was dann passiert? Die Bronchien verengen sich, es sammelt sich vermehrt zäher Schleim in den Atemwegen an, die Schleimhaut entzündet sich. Experten schätzen, dass 60 bis 80 Prozent der Pferde in Reitställen bereits an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis erkrankt sind – oft unbemerkt. Meist weil die Pferdebesitzer die ersten Anzeichen nicht erkennen: ein vereinzeltes Husten zu Beginn der Arbeit beispielsweise, aber keine nennenswerten Leistungseinbußen. Was soll schon sein? Tatsächlich muss bei einer milden Form der COB die L-Dressur oder das M-Springen kein Problem sein. Doch das Bild kann sich verändern, von einem Extrem ins andere: Husten, Nasenausfluss, Mattheit, schwerer Atem bis hin zur Dämpfigkeit. Und es kann sich sogar innerhalb weniger Stunden verändern. Weil das Pferd Staub, Schimmelpilzsporen oder Schadgase eingeatmet hat und plötzlich das Atemzentrum verrückt spielt.

Solch eine akute Verschlimmerung der COB nennt man Exazerbation, ein starkes Zunehmen der Symptome bei einer chronischen Erkrankung. Hält dieses an oder kommt wiederholt vor, wird Lungengewebe zerstört. Irreversibel!

Wir blicken ins Innere des Pferdes, was geschieht in der Lunge? Im gesunden Zustand sorgen elastische Fasern, die um die gasaustauschenden Bläschen (Alveolen) liegen, dafür, dass die Luft beim Ausatmen wieder aus der Lunge strömt. Das passiert passiv, einzig durch das Wechselspiel aus an- und entspannen der Fasern, völlig ohne Muskeleinsatz. Herrscht hingegen Atemnot, gehen diese elastischen Fasern kaputt, die Luft strömt in die Alveolen, aber nicht mehr raus. Wie bei einem Ventil. Das Pferd versucht sich mit seiner Bauchmuskulatur auszuhelfen, es entsteht das typische Bild eines dämpfigen Tieres mit einer Dampfrinne. Im Inneren überblähen die Alveolen und reißen. Diese extremste Ausprägung der COB wurde früher als Dämpfigkeit bezeichnet. Sie ist chronisch, unheilbar, und selbst eine Linderung ist weder durch Medikamente noch durch Haltungsverbesserung möglich. Die gute Nachricht ist, dass dieses Krankheitsbild in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist, weil Pferdebesitzer mehr darum wissen, früher vorsichtig werden und es gar nicht erst so weit kommen lassen.

Eine Ursache? Weit gefehlt!

Wie kommt es aber zu der Erkrankung COB? Professor Dr. Bernhard Ohnesorge von der Tierärztlichen Hochschule Hannover beschreibt zwei Szenarien, die die COB auslösen können: „Es kann ein akuter Infekt sein, der chronisch werden kann, wenn das Pferd nicht ausreichend in Ruhe gelassen und zu schnell wieder belastet wird. Oder das Pferd steht über längere Zeit in staubiger Umgebung, bekommt schlecht geborgenes Heu und Stroh mit einem hohen Gehalt an Schimmelpilzsporen. Das ist fast schon der klassische Weg zur COB.“ Allerdings entwickelt nicht jedes Pferd eines Bestandes eine chronische Lungenerkrankung. Warum reagieren die einen empfindlicher als die anderen? Professor Dr.Vinzenz Gerber von der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern hat sich genau damit ausführlich beschäftigt und eine Antwort gefunden: die Genetik. „Vor allem bei den Pferden, die mittel- bis hochgradig erkrankt sind, liegt in den meisten Fällen eine Prädisposition vor“, sagt er. Gerber fand in seiner Studie heraus, dass die Wahrscheinlichkeit an COB zu erkranken, also diese Überempfindlichkeit zu entwickeln, dann steigt, wenn bereits eines der Elterntiere an einer COB erkrankt ist. „Sind beide erkrankt, ist das Risiko noch höher.“ Ein Vererber mit dieser Veranlagung gibt diese zwar nicht jedem Nachkommen weiter, aber das allgemeine Risiko steigt.

Angenommen werden aber noch andere Ursachen. Akute Vorerkrankungen, die das Pferd überempfindlich werden lassen, bleiben weiterhin in der Diskussion unter Tierärzten und auch die Frage, wie die Pferde aufgewachsen sind. „In der Humanmedizin vermutet man, dass Kinder aus keimarmer Umgebung eher dazu neigen, Allergien zu entwickeln, als Kinder, die auf dem Bauernhof aufgewachsen sind. Solche Faktoren könnten auch beim Pferd eine Rolle spielen“, sagt Bernhard Ohnesorge.

Die COB entsteht nicht über Nacht, meist sind die ersten Symptome unscheinbar. Umso wichtiger, sie im Auge zu behalten. Wann genau hustet das Pferd? Dr. Eva-Christina Schliewert geht in der Tierklinik Lüsche in Bakum chronischen Atemwegserkrankungen auf den Grund. Jede ihrer Untersuchungen beginnt mit einer Anamnese: Sie klärt mit dem Besitzer die Problematik, seit wann sie besteht, wie das Pferd vorbehandelt worden ist, wie es darauf reagiert hat. Im Rahmen der Allgemeinuntersuchung lässt sie das Pferd auch in eine Plastiktüte oder einen Müllbeutel atmen. „Ich kann dem Pferd ja nicht erzählen: ‚Atme mal tief ein’. Durch das Ein- und Ausatmen in diese Tüte wird das Atemzentrum angeregt. Am Ende holen die Pferde richtig tief Luft. Das gibt uns die Möglichkeit, noch mehr zu hören“, sagt die Tierärztin.

Eines der wichtigsten Diagnostikgeräte bei Atemwegserkrankungen ist das Endoskop. Ein langer dünner Schlauch samt Kamera wird bei der sogenannten Bronchoskopie über die Nüstern und die Luftröhre bis in die Bronchien eingeführt. Das Endoskop verschafft nicht nur tiefe Einblicke, der Tierarzt kann damit auch Schleim aus der Luftröhre entnehmen und diesen im Labor untersuchen lassen. Sind beispielweise Bakterien beteiligt, wird man die Therapie entsprechend mit Antibiotika ausrichten müssen. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Bronchoalveoläre Lavage. „Mithilfe des Schlauchs spült man Kochsalzlösung in die Lunge und Zellen aus der Lunge heraus. Anhand des Zellprofils kann man erkennen, welche Art Atemwegserkrankung vorliegen könnte“, erklärt Dr. Schliewert. Ein hoher Anteil Neutrophile spricht beispielsweise für eine COB.

Hyperventilations-Effekt: Mit einer Tüte über den Nüstern kann man ein tiefes Einatmen des Pferdes provozieren (l.). Das Stetoskop ist dazu der wichtigste Informant des Tierarztes über den Lungenzustand des Pferdes.

Tiefe Einblicke

Diese Methoden verschaffen dem Tierarzt bereits wichtige Erkenntnisse. Weitere Methoden, die bei Lungen-Patienten eine Rolle spielen können, aber nicht müssen: die Blutgasanalyse, bildgebende Verfahren wie Röntgen und Ultraschall, oder auch der Lungenfunktionstest, der jedoch in Kliniken eine Rarität ist und vor allem an Hochschulen angewandt wird. Eine weitere Diagnostik-Methode ist ein Allergietest. „Viele Praktiker schwören darauf, aber eine andere Meinung ist, dass der Test beim Pferd nicht ausgereift sei, sondern zu willkürlich. Da spricht die akademische Lehrmeinung gegen die der Praktiker und Pferdebesitzer“, sagt Schliewert, die selbst den Allergietest bei Pferden selten und nur auf Besitzerwunsch durchführt.

Hat der Tierarzt eine COB festgestellt, heißt es handeln und keineswegs warten. Das erklärte Ziel ist klar: so lange wie möglich gesundes Lungengewebe vor Schäden schützen, akute Schübe verhindern oder wenigstens herauszögern. Und wenn es doch zu einer akuten Verschlechterung kommt, diese schnellstmöglich in den Griff zu bekommen. Therapiemöglichkeiten gibt es viele, das sei schon mal vorweggenommen.

Das will der Tierarzt wissen ...

➤ Wie lange hustet das Pferd schon?

➤ Welche Qualität hat der Husten?

➤ Sind neben dem Husten noch andere Symptome aufgetreten, zum Beispiel Nasenausfluss (ein- oder beidseitig, eitrig, blutig etc.), schlechtes Fressen, Leistungsschwäche, Atemnot, Fieber

➤ Husten auch andere Pferde im Bestand?

➤ Hat das Pferd häufiger derartige Probleme?

➤ Wie alt ist das Pferd?

➤ Wie wird das Pferd gehalten und gefüttert (Belastung durch Staub, Ammoniak, Schimmelpilze etc., Heu oder Silage als Raufutter, Innen- oder Außenbox, Einzel- oder Gruppenhaltung, Einstreu)?

➤ Sind Stressfaktoren bekannt, die das Immunsystem geschwächt haben könnten, zum Beispiel Turnier, Stall- oder Haltungswechsel, Transport?

➤ Nutzung des Pferdes (Renn-, Vielseitigkeits-, Turnier-, Freizeit- oder Weidepferd)?

➤ Wurde das Pferd gegen Influenza oder Herpes geimpft und wenn ja, wann zuletzt?

➤ Ist das Pferd vorbehandelt? Von wem, wann und womit?