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Futterplan für Rehe-Pferde

Hufrehe ist schmerzhaft. Und in vielen Fällen vermeidbar. Denn oft entsteht sie durch falsche Fütterung. Schuld ist nicht etwa zu viel Kraftfutter allein. Viel häufiger ist das Heu der Übeltäter.

Kurzes Gras ist nicht kalorienarm. Im Gegenteil. Die kurzen Stängel speichern Fruktan. Der Reheauslöser!

Diagnose: Hufrehe. Für die meisten betroffenen Pferde bedeutet das: Saure-Gur­ken-Zeit. Lebenslänglich. Rationiertes Heu, keine Kohlenhydrate und wenn Weidegang, dann nur wenige Stunden pro Tag, oft mit Fressbremse. Denn meist entsteht Hufrehe durch Übergewicht. Nehmen die Pferde mehr Energie auf, als sie verbrennen, steigen die Insulinwerte, der Stoffwechsel gerät aus dem Gleichgewicht, das Equine Metaboli­sche Syndrom (EMS) entsteht. In letz­ter Konsequenz reagiert der Körper mit einer schmerzhaften Entzündung der Hornkapsel. Ein Fall für den Tier­arzt. In schweren Fällen rotiert das Hufbein. Im schlimmsten Fall schuht das Pferd aus. Es verliert seine Horn­kapsel. Meist ein Todesurteil.

Die Ursache: Fruktan

„Um die 80 Prozent der Fälle sind füt­terungsbedingt“, schätzt Tierärztin Hei­ke Bussang ein. Sie betreibt in Hessen einen Aktivstall und ein Rehazentrum für Hufrehe-Patienten und versichert: „Mit der richtigen Fütterung können solche Pferde ein ganz normales Leben führen. Als Reitpferd, mit Weidegang und ohne Fressbremse. Wie das geht? „Statt Sahnetorte Knäckebrot besor­gen“, antwortet die Tierärztin.

Mit der Sahnetorte meint sie nicht etwa Kraftfutter oder zuckerhaltige Müslis, sondern energiereiches Heu, wie es heutzutage in vielen Ställen ge­füttert wird. „Die Grassorten in der Landwirtschaft haben sich geändert. Es gibt mehr hoch energetisches Heu. Und das löst die Entzündung in der Hornkapsel aus, weil es nicht zur Füt­terung von Freizeitpferden geeignet ist, sondern für Milchkühe.“

Als Knäckebrot bezeichnet sie rohfa­serreiches, energiearmes Heu oder Wei­degras, das auch Pferde mit Hufre­he-Vergangenheit problemlos verzeh­ren können, versichert sie. Und zwar so viel sie mögen. „Bei uns stehen die Pferde von Juli bis Oktober den ganzen Tag auf der Weide“, berichtet Heike Bussang aus der Praxis. „In den übrigen Monaten fressen sie Heu ad libitum.“

Damit das unbedenklich für die Pferde ist, muss solch ein Heu zu min­destens 33 Prozent aus Rohfaser beste­hen und sollte unter fünf Prozent Zu­cker und Fruktan enthalten, sagt sie. Angaben, die auch für Heucobs gelten. „Bei den meisten Heusorten liegt der Fruktan- und Zuckergehalt über zehn Prozent.“ Wer auf ein solch energie­haltiges Heu noch Kraftfutter, Mash und Müsli füttert, kommt schnell auf ein Vielfaches des eigentlich benötig­ten Energiebedarfs seines Pferdes.

Was drin ist im Heu, lässt sich mit einer Heuanalyse herausfinden. Die Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalten (LUFA) bie­ten solche Analysen an. Heike Bussang spricht Klartext: „Die meisten Pferde­besitzer wissen überhaupt nicht, was drin ist im Heu. Sie meinen immer, Heu sei ungefährlich. Aber Heu ist nicht gleich Heu.“

Geeignete Sorten seien zum Beispiel Liesch- und Knaulgras. Aus diesen Gräsern gewinnt Heike Bussang auch das Heu für den Winter, das sie in der Blüte mäht, also Ende Juni, Anfang Juli, wenn das Gras besonders lang ist. Denn kurzes Gras speichert viel Frukt­an. Energie, die es zum Wachsen braucht. Stand früher noch Eiweiß im Verdacht, Hufrehe auszulösen, weiß man heute, dass Fruktan der Übeltäter ist. Überständiges Gras hingegen hat seine Reserven fast vollständig ver­braucht. Es gilt: Je länger und rohfa­serreicher das Gras, desto weniger Fruktan und Zucker ist drin. „Das Pferd ist ein Dauerfresser. Und es ist ein Steppentier. Wenn man dem Pferd eine Steppe anbietet, kann es auch dauerhaft fressen“, formuliert Heike Bussang ihre Philosophie.

Schlummernde Stoffwechselerkrankungen

Neben selteneren Auslösern sieht auch Tierärztin Lisan­ne Damhuis von der Tierklinik in Lü­sche Übergewicht als Hauptursache für Hufrehe-Erkrankungen, fügt aber hin­zu: „Die meisten betroffenen Pferde haben eine unterliegende Erkrankung, wie Cushing oder das Equine Metaboli­sche Syndrom und sind daher prä­ disponiert, eine Rehe zu entwickeln.“ Daher wird jeder Hufrehe-Patient zu­nächst auf solche Erkrankungen getes­tet, um eine Grunddiagnose zu bekom­men. „Oft haben die Pferde eine Stoff­wechselerkrankung, von der der Besitzer noch nichts wusste“, sagt sie.

Meist löst ein zu hoher Insulinwert die Hufrehe aus. Um diesen zu senken, setzt Lisanne Damhuis betroffene Pfer­de auf Diät. „Tabu ist dann alles, was viele Kohlenhydrate hat“, fasst die Tierärztin zusammen. Um abzuneh­men, bekommen die Pferde rationier­tes Heu und Mineralfutter. Die Heura­tionen werden für jedes Pferd genau berechnet. Es gilt: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. „Das sollte der Be­sitzer nicht Pi mal Daumen machen, sondern mit dem Tierarzt bespre­chen“, rät Lisanne Damhuis. Die gute Nachricht: Mit der Zahl auf der Waage sinkt in vielen Fällen auch der Insulin­wert wieder auf ein normales Level.

Hat das Pferd erfolgreich Gewicht verloren, könne man die Heuration langsam wieder steigern, rät die Tier­ärztin aus Lüsche. „Man sollte aber beobachten, wie das Pferd damit zu­rechtkommt, ob es sein Gewicht hält oder wieder zunimmt.“

Für Heike Bussang ist nicht die Men­ge des Heus ausschlaggebend, sondern dessen Nährwerte: „Bei uns bekom­men betroffene Pferde das geeignete Heu und schon drei Tage später haben sich die Insulinwerte wieder normali­siert.“ Zusätzlich zum Heu gibt es in Heike Bussangs Rehe-Reha nur Wasser und einen Himalaya-Salzleckstein. Um Mängel rechtzeitig zu erkennen, nimmt sie ihren Patienten regelmäßig Blut ab, um bei Bedarf einzeln supple­mentieren zu können. Auch beim Mi­neralfutter achtet sie darauf, dass es melassefrei ist und wenig zuckerhalti­ge Trägerstoffe enthält.

Hilft Arginin?

„Außerdem haben wir gute Erfah­rungen mit Ginko, Weidenrinde, Ma­riendistel und Brennnessel in Kräuter­form gemacht. Das wirkt sich positiv auf den Stoffwechsel aus“, sagt Heike Bussang. Bei Hufrehe ist auch immer wieder von Ingwer die Rede. Der wirke zwar entzündungshemmend, bestätigt Lisanne Damhuis, aber: „Wenn man es in der Dosierung gibt, in der es wirkt, ist es schleimhautreizend. Daher kann man es gar nicht in einer therapeutischen Dosis geben, ohne Nebenwirkungen zu bekommen.“ Seit einiger Zeit lässt auch das Zusatzfuttermittel Arginin auf Hilfe bei Hufrehe hoffen. Die Mischung aus Aminosäuren, Antioxidantien, Enzymen, Mineralien, sekundären Pflanzenstoffen und Vitaminen soll die körpereigene Bildung von Stickstoffmonoxid anregen und somit die Durchblutung steigern, heißt es auf der Webseite des Herstellers. Diese Mischung soll das Potential haben, Hufrehe ursächlich zu behandeln, schreibt der Hersteller. Eigentlich ist es ein Nahrungsergänzungsmittel für Menschen, das Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen soll.

Lisanne Damhuis ordnet ein: „Als Medikament würde ich das nicht sehen. Die Wirksamkeit ist wissenschaft- lich nicht belegt. Man kann damit zwar nicht viel falsch machen, aber es ist schwer zu sagen, ob es hilft.“ Auf der Webseite steht, dass die Aussagen auf Einzelfall-Berichten beruhen, bei denen Pferde mit dem Nahrungsergänzungsmittel für Menschen gefüttert wurden. Auch der Hersteller betont, dass es noch keine wissenschaftliche Studie dazu gibt. Damit es jedoch gar nicht erst zu einer Hufrehe kommt, müssen Pferdebe- sitzer in erster Linie darauf achten, dass ihre Pferde nicht zu dick werden. Hat das Pferd schon sichtbare Fettdepots an Mähnenkamm oder Schweifansatz, ist das ein Alarmsignal. Das Pferd muss dringend abspecken. Ein Besuch bei der Pferdewaage oder die Ermittlung des Body Condition Score können bei der Einschätzung des Gewichts helfen. Hinzu kommt, dass viele Pferdebesitzer nicht nur das Körpergewicht, sondern auch den Energiebedarf ihrer Pferde falsch einschätzen. „Die meisten Pferde brauchen kein Kraftfutter“, macht Heike Bussang deshalb klar. Viele Pferdebesitzer würden ihre Tiere lieber pflegen und füttern, statt reiten, schildert Heike Bussang ihre Beobachtungen der vergangenen Jahre. Ideale Voraussetzungen für Übergewicht. Lisanne Damhuis ergänzt: „Viele Pferde stehen leider auch viel drinnen und bewegen sich gar nicht so viel. Pferde, die sich jeden Tag bewegen, haben eher weniger Probleme mit Übergewicht und letztendlich auch Hufrehe.“ Beide sind sich einig: Die Zahl der Hufrehe-Fälle ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Die schlechte Nachricht: Ist das Pferd einmal an Hufrehe erkrankt, bleibt es sein Leben lang anfällig. Meist, weil es eine rasse- oder gesundheitsbedingte Veranlagung hat. Sollte ein Pferd mit einer akuten Hufrehe keinesfalls auf die Weide, ist dies nach überstandener Erkrankung zwar erlaubt, doch Lisanne Damhuis empfiehlt Weidegang nur noch zeitlich begrenzt. „Zwei Mal am Tag für eine Stunde und mit Fressbremse“, sagt sie und begründet: „Es ist erstaunlich, wie viel Energie ihres täglichen Bedarfs die Pferde in so kurzer Zeit aufnehmen.“ Heike Bussang ist da anderer Meinung. Sie sieht die Fressbremse für Hufrehe-Pferde eher kritisch: „Durch die Löcher kommen sie nur an die kurzen Untergräser. Die langen, ernergiearmen Gräser gehen nicht durch. Die Pferde fressen also nur noch Schokolade.“

Um ihre Tiere zu schützen, müssen Pferdebesitzer wachsam sein, denn: „Fütterungsbedingte Rehe ist ein schleichender Prozess“, sagt Heike Bussang. „Wenn das Pferd plötzlich fühlig ist, kann sich auch eine Rehe anbahnen.“ Hat ein Pferd die Erkrankung überstanden, stehen die Chancen jedoch gut, dass es auch als Reitpferd wieder voll belastbar ist. Der Pferdebesitzer sollte nur vorab mit Röntgenaufnahmen sicherstellen, dass der Hufbeinträgerschaden vollends abgeheilt ist. Erst dann ist die Stabilität im Huf wieder komplett hergestellt. „Man geht ja auch nicht mit Flip-Flops wandern“, veranschaulicht Heike Bussang und fügt hinzu: „Es kann bis zu einem Jahr dauern, bis die Lamelle sich vollständig erholt hat.“