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„Wir sollten unsere Reitschüler fördern und fordern, aber nicht fertigmachen“

Den Top-Trainern über die Schulter gucken, das ist das Prinzip der neu entstandenen Trainer-Patenschaften des DOKR. Vielseitigkeitsreiterin Anna Siemer ist dabei – ein Interview über Motivation und Tabus im Reitunterricht und ihren Paten Hans Melzer.

Anna Siemer bei der Verfassungsprüfung mit FRH Butts Avondale in Luhmühlen 2017 – sie ist Teil eines neuen Trainer-Förderprogramms.

Warendorf – Das Zauberwort heißt Erfahrungsaustausch. Anfang des Jahres hat das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR) Trainer-Tandems gebildet. Ein Programm für junge Trainer, die die Chance haben, den "alten Hasen" einmal über die Schulter zu gucken. Das Programm entstand im Rahmen der ebenfalls noch jungen Trainerakademie des DOKR und wird gefördert durch die Stiftung Deutscher Spitzenpferdesport und die Liselott und Klaus Rheinberger Stiftung.

Die ersten Paare sind bereits gefunden, beispielsweise Bundestrainerin Monica Theoderescu und Benjamin Werndl, Hans-Heinrich Meyer zu Strohen und Caroline Roost, Johnny Hilberath und Max Wadenspanner in der Dressur, aber auch die Bundestrainerin Voltigieren Ulla Ramge und Dina Menke, Jessica Lichtenberg, die langjährige Erfolgstrainerin des Teams Neuss und Andrea Blatz. Im Springreiterlager gibt es bisher noch kein Trainer-Tandem, dafür aber in der Vielseitigkeit: Anna Siemer darf Bundestrainer Hans Melzer über die Schulter gucken. Anna Siemer ist Mitglied im sogenannten Nachwuchskader U25/perspektivisch Vielseitigkeit. Die heute 35-Jährige lebt und trainiert in Luhmühlen, im dortigen Ausbildungszentrum sind ihre Pferde zu Hause. Bundestrainer Hans Melzer hat seine Pferde nur eine Stallgasse weiter stehen – Anna Siemer und Hans Melzer kennen sich nunmehr seit über 20 Jahren. Mit dem neuen Projekt soll er Anna Siemer aber nicht als Reiterin, sondern als Trainerin fördern.

Reiter Revue International: Frau Siemer, wie kam es überhaupt zu der Trainerpatenschaft mit Hans Melzer?

Anna Siemer: Das DOKR ist auf mich zugegangen und hat gefragt, ob ich das machen möchte. Ich unterrichte schon immer gerne, gebe hier in Luhmühlen ab und zu Lehrgänge, habe vor langer Zeit bei den Ponyreitern in Weser-Ems ausgeholfen als sie zur Deutschen Meisterschaft gefahren sind … Durch meine zwei Kinder ist meine Zeit für mein Reiten zwar noch kostbarer und der Unterricht ist weniger geworden. Im Augenblick sind es maximal zehn Schüler, die regelmäßig bei mir trainieren. Aber ich mache das unheimlich gerne. Wenn ich so einen Lehrgang gebe, bin ich danach fix und „foxi“, da habe ich wirklich alles an Energie verbraucht.

Wie sieht denn diese Trainer-Patenschaft in der Praxis aus? Mit Hans Melzer haben Sie ja ohnehin viel zu tun …

Genau, er ist auf unserer Nachbarstallgasse und ich sehe ihn wahrscheinlich mehr als jeder andere Bundeskaderreiter. Im Sommer werden wir ein paar Projekte zusammen haben, er guckt dann mal bei meinem Unterricht zu und ich bei seinem, wenn er zum Beispiel einen Lehrgang für Nicht-Kader-Reiter gibt. Es geht darum, auch Abläufe im Unterricht zu hinterfragen. Bis jetzt ist es so, dass wir bei uns jede Woche in Luhmühlen Bundeskader-Training haben. Und immer wenn es etwas Besonderes gibt, ein besonderes Pferd zum Beispiel, haben wir gemeinsam diskutiert, was man hier machen könnte, ob man noch ein Sprung hier oder ein Sprung weniger reiten lässt, oder was für eine Gymnastikreihe sich für dieses Pferd eignet.

Sie kennen Hans Melzer sehr gut, was wollen Sie sich von ihm als Trainer abgucken?

Hans ist unglaublich positiv und mit seiner positiven Art bringt er die Leute dazu, besser zu werden und an sich zu glauben. Das ist etwas, was man sich immer abgucken kann. Und das ist auch meine Art, Unterricht zu geben. Statt alles schlecht zu reden, wenn bei einem Schüler etwas nicht geklappt hat, positiv und vor allem ruhig zu bleiben. Seine Ruhe zeichnet ihn aus. Und dieses Feingefühl, einschätzen zu können, was er als Trainer von Pferd und Reiter abverlangen kann. Das möchte ich mir auf jeden Fall von ihm weiter abgucken.

Was sind Ihre eigenen Stärken und Schwächen als Trainerin?

(kurze Pause) Erst mal kann ich mich gar nicht loben. Damit fängt es schon an. (lacht)

Dann frage ich anders: Worauf kommt es Ihnen denn bei Ihrem Reitunterricht an?

Spaß und Ernst gut miteinander zu verbinden, Leute zu motivieren, an sich zu arbeiten. 90 Prozent der Reitschüler in Deutschland sind nun mal Amateure. Reiten ist deren Hobby und wir (Trainer/Reitlehrer) sollten sie in ihrem Hobby bestärken, fördern und auch fordern, aber nicht fertigmachen.

Würden Sie so ein Programm wie die Trainerpatenschaft des DOKR deshalb auch anderen Reitlehrern nahelegen?

Ich denke auf jeden Fall, dass viel mehr gemacht werden muss. Ich selbst bin als Kader-Mitglied mit relativ vielen Reitlehrern konfrontiert, ich weiß wie Jürgen Koschel unterrichtet oder Claus Erhorn oder eben Hans Melzer. Viele Reiter haben häufig nur einen Trainer und oft kommt dieser Trainer nicht von zu Hause weg. Da gibt es Reitlehrer, die seit 15, 20 Jahren in ihren Reitvereinen den Schulunterricht machen. Ich glaube, sich weiterzubilden ist auch für Reitlehrer wichtig. Ich meine nicht nur mit einem Seminar. Sondern wirklich so eine Art Patenschaft, bei der man beim eigenen Reitunterricht mit den eigenen Schülern am eigenen Stil oder an der Wortwahl arbeitet.

Was müsste sich sonst verbessern beim Reitunterricht heute?

Als ich früher Reitunterricht bekommen habe, gab man dem Reitlehrer keine Widerworte. Heute bekomme ich immer wieder mit, dass Reitschüler unhöflich sind – und das gehört nicht zum Reiten. Dass Reitschüler ihren Reitlehrer anblaffen, geht gar nicht! Da müssen wir unsere Reitschüler auch zu respektvollen Menschen erziehen.

Genauso geht es aber auch nicht, dass der Reitlehrer mit dem Handy in der Hand in der Bahn steht und nur ab und zu hochguckt und sagt, „gut so“. Der Reitlehrer hat während des Unterrichts keine WhatsApp zu schreiben. Ich habe auch immer mein Telefon bei mir, aber in der Tasche, falls doch mal einer runterfällt.

Und wie sehen Sie Ihre Zukunft, werden Sie Ihr bald noch mehr als Trainerin aktiv sein oder gar als Bundestrainerin?

Mit Sicherheit möchte ich nicht bis ich 80 bin im Sattel sitzen. Deswegen möchte ich mich als Trainerin weiterbilden. Dieses Jahr werde ich viel mit den Vielseitigkeits-Ponyreitern mitfahren und Fritz Lutter begleiten. Herrn Lutter kenne ich ja noch als meinen Bundestrainer in der Ponyzeit, das wird quasi generationsübergreifendes Arbeiten.

Ich muss jetzt natürlich die Balance mit dem Reiten halten, im Moment sind es 70 Prozent reiten, 30 Prozent Unterricht. Die Schwerpunkte werden sich irgendwann verschieben. Auf lange Sicht erhoffe ich mir schon solch eine Traineraufgabe. Mir macht das einfach unheimlich viel Spaß.

Frau Siemer, vielen Dank für das Gespräch.