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Wie gut können Pferde sich konzentrieren?

Aufnahmefähig ist nur, wer sich nicht ablenken lässt. Doch wie hängen Aufmerksamkeit, Motivation und Lernverhalten des Pferdes zusammen?

Wie lange und wie gut sich ein Pferd konzentrieren kann, hängt von ganz unterschiedlichen Faktoren ab.

Acht Stunden lang ist in der Regel ein normaler Arbeitstag, plus eine Stunde Pause. Doch kein Mensch kann sich so lange am Stück konzentrieren und wirklich produktiv arbeiten. Glaubt man einer Studie von Microsoft zum Thema „Aufmerksamkeit in digitalen Medien“, können sich die untersuchten Personen weniger lange auf eine bestimmte Sache konzentrieren als ein Goldfisch. Und diesem wird eine Aufmerksamkeitsspanne von nur neun Sekunden nachgesagt. Kann sich auch ein Pferd nur über einen derart minimalen Zeitraum konzentrieren? Und wie müssen wir Reiter eine Trainingsstunde aufbauen, um den Lernprozess wirklich effektiv zu fördern?

Eine andere Denkweise

Alles beginnt damit, dass man sich vor Augen führen muss, dass sich die Denkweise des Pferdes stark von der des Menschen unterscheidet. „Für uns gehört das Verknüpfen von Ereignissen zum normalen Denkvorgang, auch wenn die Tat und der dazugehörige Erfolg oder Misserfolg zeitlich mehr oder weniger weit auseinander liegt. Das kann das Pferd nicht“, macht Dr. Margit Zeitler-Feicht in ihrem Handbuch „Pferdeverhalten“ deutlich. Das sollte ein Reiter immer im Hinterkopf haben, denn vom richtigen Zeitpunkt des Lobens oder Strafens hängt der Lerneffekt ab. Maximal ein bis zwei Sekunden bleiben, damit das Pferd eine Verbindung zwischen seiner Aktion und der Reaktion des Reiters herstellen kann. Für den Lernerfolg bei der Ausbildung eines Pferdes ist das sehr wichtig zu wissen, denn dieser ist eng verknüpft mit seiner Motivation, die wiederum mit seiner Konzentrationsfähigkeit zusammenhängt. Bei der Ausbildung junger Pferde dürfe man außerdem nie vergessen, wie unterschiedlich sie vom Interieur seien, mahnt Ausbilder Jörg Dietrich: „Die Pferde, die, nett ausgedrückt, ihrer Umwelt gegenüber sehr aufgeschlossen sind, sind in der Arbeit ganz anders zu behandeln als die ruhigen, gelassenen Vertreter.“ Das Lernverhalten der Pferde ist demnach sehr von seinem Charakter abhängig.

Leichter lernen durch das Lernen

„Allgemein gilt, dass Tiere umso leichter lernen, je mehr sie lernen“, erklärt Dr. Margit Zeitler-Feicht. Das würde dafür sprechen, dass ältere, höher und weiter ausgebildete Pferde sich besser auf die gestellten Aufgaben konzentrieren können und sie somit auch schneller verstehen. Doch stimmt das? Lernen – keine Frage des Alters Nicht jedes Pferd ist gleichermaßen lernbegabt. Doch auch ein weniger lernbegabtes Tier könne später dieselben Aufgaben meistern wie ein höher begabtes, solange es nur gut und gewissenhaft trainiert und konditioniert werde, beschreibt Jörg Dietrich. „Manche Pferde haben eine enorm hohe Auffassungsgabe. Zeigt man ihnen eine Lektion einmal, können sie diese immer wieder korrekt abrufen. Andere brauchen dafür länger, das heißt aber nicht, dass sie qualitativ schlechter sind. Da kann man Pferde dann eben doch mit Menschen vergleichen. Nicht jeder kann Hochschulprofessor werden und nicht alle haben die Begabung für ein Handwerk.“

Keine Geschlechterunterschiede beim Lernverhalten

Unterschiede im Lernvermögen sind übrigens zwischen den Geschlechtern nicht nachweisbar. Auch die Stellung eines Pferdes in der Herde gibt keine Auskunft über seine Begabung oder die Schnelligkeit des Verstehens neuer Aufgaben, erläutert Zeitler-Feicht. Jörg Dietrich ist der Auffassung, dass man jedem Pferd, unabhängig vom Alter, etwas beibringen kann. Jedoch kann das Training teils mehr Zeit in Anspruch nehmen. „Jüngere Pferde sind häufig wissbegieriger und auch etwas leistungsbereiter, gerade dann, wenn sie in der Prägephase schon daran gewöhnt wurden, dass ihnen etwas beigebracht wird und sie etwas leisten sollen“, erklärt Dietrich. Eine Zuchtstute in den Sport zu bringen, die jahrelang Fohlen zur Welt gebracht hat und auf der Weide stand, ist möglich, häufig aber aufwändiger, weil ein Pferd, das jahrelang als Zuchtstute gelebt hat, ist ein ganz anderes Leben gewohnt und hat eine gefestigte Persönlichkeit. Wie schafft es aber nun ein Reiter, sein Pferd motiviert und konzentriert bei der Arbeit zu halten?

Abwechslung statt Langeweile

„Am allerwichtigsten neben den banalen Dingen wie artgerechte Haltung, passendes Sattelzeug und dergleichen ist meiner Meinung nach die Abwechslung. Ich würde eine Lektion niemals zwanzig Mal wiederholen. Das frustriert nur“, rät Jörg Dietrich. „Fehler sind dazu da, um gemacht zu werden. Sie helfen, um sie dann zu korrigieren und einen Lernerfolg herbeizuführen.“

Wer neugierig bleibt, lernt besser

Dietrich plädiert allgemein für eine breite, abwechslungsreiche und vor allem spartenunabhängige Ausbildung. Noch wichtiger aber ist die aktive Erholung: „Pferde müssen unbedingt auch Pferd sein dürfen! Und das muss ich in der Ausbildung fest mit einplanen. Es müssen Weidetage dabei sein, an denen das Pferd tun und lassen kann, was es will und sich frei bewegen kann. Und genauso sollten Schrittausritte am langen Zügel, ein frischer Galopp durch den Wald oder das Klettern an der Hand fester Bestandteil sein. Nur so werden Körper und Geist zufrieden, leistungsbereit und konzentriert sein.“

Positive Bestärkung und Lob als Motivation

Dr. Margit Zeitler-Feicht vertritt denselben Ansatz und erklärt: „Da die Neugierde der Hauptmotor des Lernens ist, sollten in der Pferdeausbildung die Aufgaben so interessant wie möglich gestaltet werden.“ Neugierige Pferde seien allgemein sehr leicht zur Mitarbeit zu motivieren, sodass sie sich freiwillig den ihnen gestellten Aufgaben annähmen und sich auf sie konzentrierten. Weiterhin ist das positive Bestärken und Loben eines Pferdes ein Garant für seine Zufriedenheit.

Pferde als Meister der Feinfühligkeit

Pferde kennen den Tonfall, die Körpersprache und die Signale ihres Reiters; sie sind Meister der Feinfühligkeit. Jörg Dietrich rät: „Reden Sie mit Ihrem Pferd! Kommunikation und Kontakt miteinander sind äußerst wichtig.“ Dafür müssen Sie keine großen Reden schwingen. Ein ruhiges „Braaav“ oder „Gut so“ reicht vollkommen. Pferde lernen unter anderem im Sinne der klassischen Konditionierung. Wenn einem „Braaav“ ein Kraulen am Widerrist und ein Nachgeben des Zügels folgt, so kann es die Verknüpfung herstellen: „Braaav“ heißt, ich habe etwas gut gemacht. Hat das Pferd das verstanden und geht mit Motivation an die Arbeit, ist der Grundstein für hohe Konzentration gelegt.

Ermüdung als Gegenspieler der Konzentration

Das Thema Konzentration kann man jedoch nicht ohne ihren Gegenspieler betrachten: Ermüdung. Nach welcher Zeitspanne diese eintritt, hängt nicht nur von Charakter, Alter oder Ausbildungsstand des Pferdes ab, sondern auch von äußeren Bedingungen wie dem Trainingsort, der Tagesform von Mensch und Tier und auch der Komplexität der geforderten Übung. Wie Dr. Margit Zeitler-Feicht beschreibt, könne sich ein junges, unerfahrenes Pferd maximal bis zu zehn Minuten konzentrieren. Spätestens dann müsse eine Pause eingelegt werden, um das Tier nicht zu überfordern. Diese zehn Minuten sind allerdings nicht mit der neun-sekündigen Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches gleichzusetzen. Auch in dieser Zeit schweift die Aufmerksamkeit des Pferdes immer wieder ab. Denn wie die anfangs genannte Studie deutlich macht, schweift auch der Mensch gedanklich immer wieder ab. Gleiches gilt für weiter ausgebildete Pferde, die sich ungefähr zwanzig Minuten auf ihre Arbeit fokussieren können. Individuelle Abweichungen, insbesondere nach unten, sind möglich und sollte jeden Tag aufs Neue berücksichtigt werden. „Dies soll jedoch nicht heißen, dass man ein Pferd nur zwanzig Minuten reiten darf“, macht Zeitler-Feicht deutlich. „Es soll vielmehr darauf aufmerksam gemacht werden, dass Übungssequenzen, die eine hohe Konzentration erfordern, nicht zu lange dauern dürfen und nach einiger Zeit intensiver Arbeit wieder eine Entspannungsphase erfolgen muss.“

Wenn das Pferd sich nicht gut fühlt

Auch Hormone sollten nicht außer Acht gelassen werden. Eine rossige Stute ist eventuell einige Tage unkonzentriert, fahrig, zickig. Ein Hengst macht vielleicht nicht mehr so gut mit, wenn die anderen Pferde von der Weide hereingebracht werden. Das sind Dinge, bei denen der Reiter flexibel und kreativ, auf keinen Fall jedoch hart und genervt reagieren sollte. „Wenn ich bei einer Übung partout nicht weiterkomme und merke, dass ich mich als Reiter verkrampfe und mein Pferd schon kribbelig wird, dann lasse ich es sein. Morgen ist ein neuer Tag. Ein guter Ausbilder hält nicht stoisch an alten Mustern fest, sondern überlegt sich immer wieder neue Wege, um zum Ziel zu kommen und dem Pferd den Spaß an der Arbeit zu erhalten“, befürwortet Dietrich auch unkonventionelle Übungen.

Pausen zur Vermeidung von Überforderung

Um Überforderung zu vermeiden und Ermüdung entgegenzuwirken, sollten systematisch Pausen eingelegt werden. Das ist vor allem für den Kopf wichtig, aber auch die Muskeln müssen sich erholen und wieder Sauerstoff aufnehmen. Die Länge der Arbeitsphasen und Pausen ist individuell. „Mittlerweile wurde über mehrere internationale Studien nachgewiesen, dass nicht die Häufigkeit und Intensität des Trainings die Lernleistung fördert, sondern das bewusste Einsetzen von Pausen zwischen den Trainingseinheiten“, gibt Zeitler-Feicht zu bedenken.

Pause bedeutet vollständige Erholung

Auch Jörg Dietrich misst dem richtigen Einsatz von Pausen eine hohe Bedeutung zu. „Pause heißt bei mir auch Pause. Ich arbeite dann nicht mit dem Pferd. Ich lobe es, gebe den Zügel hin und lasse es einige Runden verschnaufen, über das Geleistete nachdenken und frage nichts ab. Die innere Losgelassenheit ist die Grundlage für Leistungswille und Konzentration.“

Der Artikel stammt aus unserem Archiv. Er ist erstmals in unserer Januar-Ausgabe 2017 veröffentlicht worden.