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Wie anstrengend Lektionen für Pferde wirklich sind

Ambitionierte Reiter trainieren so lange, bis die Lektion sitzt? Falsch! Schlaue Reiter trainieren gezielt, um die Kräfte ihrer Pferde genau einzuteilen. Doch was ist wirklich anstrengend und welche Übungen sind leichte Kost?

Galoppverstärkungen - ein Kinderspiel fürs Pferd oder kräftezehrend?

Eine Reitstunde soll effizient sein. Eine Reitstunde ist Training. Eine Reitstunde soll Pferd und Reiter voranbringen. Also wird geübt. Aber wie lang sollten Trainingssequenzen sein?

„Ich beobachte oft, dass ein Reiter zum Beispiel zig Runden im Außengalopp absolviert, und zwar leider oft genug in einer schlechten Qualität“, sagt Sandra Wallrafen, Pferdephysiotherapeutin aus der Nähe von Mönchengladbach. „Der Reiter muss sich vor Augen führen, dass zum Beispiel der Außengalopp nicht davon besser wird, dass man ihn Runde um Runde schlecht reitet. Das ermüdet das Pferd und verschleißt es letztlich.“ Deswegen sind Wallrafen zwei Dinge im Training wichtig: erstens Intervalle, zweitens Pausen.

„Gutes Training ist ein bisschen wie Zirkeltraining, bei dem man die Stationen wechselt, aber eben auch wiederholt, so dass Muskelgruppen abwechselnd trainiert werden und auch wieder ausruhen können“, sagt Wallrafen. Sie plädiert dafür, das Training zwar konsequent, aber auch abwechslungsreich zu gestalten und folgt der Struktur: nach Versammlung wieder zulegen, nach Trabarbeit eine Galoppreprise einlegen, nach gebogenen Linien auch mal wieder geradeaus reiten. „Und vor allem immer wieder Schrittpausen, die können mal länger, mal kürzer sein, erlauben es, dem Pferd aber physisch und psychisch loszulassen.“ Wichtig dabei: die Zügel wirklich lang lassen oder gar ganz hingeben.

Schrittpausen sind für den Kopf gut, aber auch für die Muskeln, um sich zu regenerieren.

Bergab ist anstrengend

Vielseitiges Training ist für Julia Mestern alltäglich, denn sie ist gleichermaßen im Viereck wie im Busch erfolgreich. „Will ich zum Beispiel die Versammlung bei einem Pferd fördern, übe ich gerne am Hang und zwar bergab. Aber das muss man schon sehr genau dosieren“, mahnt die Pferdewirtschaftsmeisterin. „Denn bergab galoppieren ist viel anstrengender als versammelt geradeaus.“ Auch Mestern ist überzeugt davon, dass viele Reiter zu lange an einzelnen Lektionen üben. „Die Arbeit an Pirouetten zum Beispiel ist enorm anstrengend für Pferde. Da ist weniger einfach mehr." Ein Bodybuilder stemmt ja auch nicht 20 Mal hintereinander 200 Kilogramm.

Springreiter André Thieme setzt im Training vermehrt auf Kontinuität: „Ich beobachte oft – ganz besonders beim Abreiten auf Turnieren – dass die Reiter aus dem Schritt angaloppieren, den Sprung absolvieren und direkt wieder zum Schritt durchparieren. Das geht immer zackzack – Schritt-Sprung-Schritt. Mir fehlt da die kontinuierliche Arbeit.“ Als gute Vorbilder führt der Träger der Goldenen Reitabzeichen Dressur und Springen seine Kollegen Ludger Beerbaum und Marcus Ehning auf: „Wer sie beobachtet, sieht, dass sie weiter galoppieren und die Pferde vor und nach den Sprüngen im Rhythmus halten. Wenn sie dann Schritt reiten, sind das echte Pausen und keine Überbrückung, bis es das nächste Mal über den Sprung geht.“

Nach dem Sprung im Rhythmus weiter galoppieren, schenkt Kraft und bietet den Pferden Kontinuität im Training.

Der Pferdewirtschaftsmeister findet es außerdem wichtig, regelmäßig – nach Möglichkeit alle drei bis vier Tage – längeres Galoppieren für den Aufbau von Kraft und Kondition einzuplanen. Idealerweise im Gelände: „Das ist gut für den Kopf und motiviert die Pferde.“

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Pausen richtig wählen

Für viele ist es schon schwierig zu entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für eine Pause ist. „Wenn ein Pferd beginnt, sich zu wehren, habe ich es wahrscheinlich schon übertrieben. Da lohnt es sich oft, die Zügel einmal lang zu lassen und nach ein paar Runden Schritt einen neuen Versuch zu starten“, erklärt Julia Mestern. „Bei den Vielseitigkeitspferden verrät mir in erster Linie die Atmung, ob eine Grenze erreicht oder vielleicht sogar schon leicht überschritten ist.“ Doch nicht nur Anzeichen von Müdigkeit fordern Pausen. Auch wenn etwas gelingt, sind sie das größte Lob für ein Pferd. „Dabei muss es nicht die perfekte Ausführung einer Lektion sein“, findet Dressur-Ausbilder Sebastian Heinze. „Mir ist schon eine Verbesserung der Lektion eine Pause wert. So kommt dann auch im Kopf des Pferdes an, wohin die Entwicklung gehen soll.“ Dem Pferdewirtschaftsmeister ist zudem auch die Pause für den Reiter enorm wichtig: „Ich beobachte oft, dass ein Schüler, wenn er müde wird, sich nicht mehr so gut konzentrieren kann. Dann wird das Timing der Hilfen schlechter und somit natürlich auch die Verständigung mit dem Pferd.“

Schrittpausen sind oft das beste Lob.

Wie anstrengend sind Tempounterschiede?

Diagonale um Diagonale in der Verstärkung – statt besser wird das Pferd nur müde. Eindeutig falsches Training! „Stattdessen sollte man immer wieder ein paar Tritte zulegen, das Pferd wieder abfangen, ins Gleichgewicht bringen und dann das Ganze wiederholen“, erklärt Sandra Wallrafen. Das fördert nicht nur eine gute Verstärkung, sondern auch Durchlässigkeit und Kraft in der Hinterhand.

Tempounterschiede sind mächtig anstrengend. Sie sind mit einem kurzen Sprint vergleichbar.

Stellen Sie sich einen Sprinter vor, der eine Strecke in einer möglichst guten Zeit schaffen möchte. Er wird nicht von Anfang an versuchen, die Strecke mit Vollgas zu laufen. Denn noch bevor das Ziel erreicht ist, geht entweder die Puste aus oder die Beine brennen. Spaß macht das nicht und auch der Trainingseffekt stellt sich nur schwer ein. Jeder, der mit dem Laufen beginnt, bekommt von seinem Trainer gesagt: Pausen einhalten, Gehen ist keine Schande. Einsteigertrainingspläne sehen es sogar strikt vor, zwischen Laufen und Gehen zu wechseln und zwar in einem Verhältnis von 50 zu 50. Auch für das Grundtempo wird hier eine einfache Grundregel vorgegeben: Laufen ohne schnaufen. Sollen Sprints trainiert werden – was die Tempowechsel ja im übertragenen Sinne sind – sollten die in kurzen Reprisen eingelegt werden. Wichtig ist nur: Regelmäßig zu trainieren und in den Phasen, in denen das Tempo gesteigert wird, sein Limit zu erreichen, aber eben nur kurz.

Wie anstrengend ist die Anlehnung in Selbsthaltung?

Diese Übung soll zeigen, wie anstrengend es ist, ein und dieselbe Stellung zu halten. Schon die vorangegangene Übung zeigt, wie sehr es ermüdet, eine fixierte Position auszuhalten, auch wenn man „nur“ sein eigenes Gewicht halten muss. „Alles was ständig, dauerhaft angespannt ist, ist einfach sehr anstrengend. So auch, wenn Pferde über einen langen Zeitraum in ein- und derselben Anlehnung gehen müssen“, sagt Sandra Wallrafen.

Das Aufwölben des Rückens und die Selbsthaltung ist super anstrengend für das Pferd.

Ein Pferd, vor allem wenn es eben noch nicht austrainiert ist, das über einen zu langen Zeitraum in Arbeitshaltung geht, ermüdet im Hals und im Rücken – und zwar selbst dann, wenn es in idealer Anlehnung geritten wird. Zum Selbsttest nehmen sie eine volle Kanne Kaffee oder Flasche Wasser oder einen Eimer Möhren in die Hand. Wenn der Inhalt etwa ein Liter ist, entspricht dies in etwa einem Kilo Gewicht. Strecken Sie den Arm nun im rechten Winkel zum Oberkörper aus. Das wird schnell ziemlich anstrengend. Dessen sollte sich jeder Reiter bewusst sein, wenn er sein Pferd in Aufrichtung reitet. Probieren Sie aus, wie lange Sie Ihrem Pferd den Möhreneimer so vor die Nase halten können!

Wie anstrengend ist das Aufwölben des Rückens?

Zu jedem Muskel – ob beim Menschen oder eben beim Pferd – gibt es einen Gegenspieler. Den gilt es immer mit zu trainieren, sonst stößt man schnell an Grenzen. „Das gilt für die Abduktoren und Adduktoren genauso wie für Rücken- und Bauchmuskulatur“, versichert Sandra Wallrafen. Wer den Rücken zum Beispiel aufwölben will, muss den Bauch zusammenziehen. In extremer Form ist das bei den klassischen Situps zu erkennen: Die Bauchmuskulatur arbeitet und zieht den Oberkörper nach vorn, während sich die Rückenmuskulatur entspannen, sich gar etwas dehnen muss, um diese Bewegung zuzulassen. Und eine gekräftigte Bauchmuskulatur entlastet nicht nur beim Menschen den Rücken, sondern eben auch beim Pferd. Deswegen ist es umso wichtiger, dass das Pferd mit der Hinterhand aktiv unter den Schwerpunkt treten kann. Denn dadurch trainiert es seine Bauchmuskeln.

Ein gut trainiertes Pferd wird schöner, heißt es. „Das ist tatsächlich so“, weiß Sandra Wallrafen. „Wird zum Beispiel ein Pferd zu lange und zu stark versammelt oder aufgerichtet, wird eine Muskelpartie übertrainiert, der Gegenspieler arbeitet hingegen zu wenig. So kommt es zu ausgeprägten Muskeln am Schulterblatt, direkt in der Partie hinter dem Sattel oder direkt vor der Schweifrübe. Diese Dellen lassen ein Pferd eckig aussehen und nicht schön rund.“

Der Artikel ist erstmals in der September-Ausgabe 2015 der Reiter Revue International erschienen.