Was passiert bei Stellung und Biegung im Pferdekörper?
Wissen, was bei Stellung und Biegung im Pferdekörper vorgeht, macht das Reiterleben leichter. Denn dann versteht man auch, warum es auch mal nicht funktioniert. Aber gehen wir zunächst vom Idealfall aus.
Da bewegt sich was
Die Stellung passiert im Genick, also in der Verbindung zwischen dem Hinterkopf zum ersten Halswirbel. „Die Besonderheit ist, dass zwischen dem ersten und zweiten Halswirbel nur eine Drehung möglich ist, aber keine Seitneigung, Beugung oder Streckung“, beschreibt Pferde-Osteopathin Beatrix Schulte Wien. Wenn das Genick des Pferdes aber festsitzt – zu den Gründen kommen wir noch – dann ist keine Stellung möglich. „Dann springt die Bewegung über zur Verbindung zwischen zweitem und drittem Halswirbel, um das zu kompensieren“, erklärt Schulte Wien. Wir kennen das, wenn wir einen steifen Nacken haben: Den Kopf können wir kaum drehen, dafür drehen wir den Oberkörper mit – geschmeidig sieht das nicht aus und angenehm ist’s schon gar nicht. Dem Pferd geht es da keinen Deut besser. Das Resultat ist dann der sogenannte falsche Knick, der Bereich des zweiten und dritten Halswirbels ist verstärkt gebeugt. „In den Facettgelenken dieser beiden Wirbel ist Seitneigung und Rotation möglich“, sprich viel mehr Bewegung als im Genick. Die Längsbiegung vollzieht sich durch den ganzen Körper von Kopf bis Schweifrübe. Aber nicht überall gleich, wie Schulte Wien erklärt: „Die größte Biegung hat ein Pferd in der Halswirbelsäule, außerdem ist die Biegung relativ gut zwischen dem 9. und 14. Brustwirbel möglich. Der Bereich davor ist eher steif, dort sitzt auch das Schulterblatt. Nach hinten nimmt die Biegung die aus Seitneigung und Rotation besteht ab und in der Lendenwirbelsäule wird sie vor allem deshalb deutlich reduziert, weil hier die großen Querfortsätze der Wirbelsäule sind, die aneinander stoßen würden.“
Im besten Fall sitzt der Reiter in Höhe des 15. Brustwirbels. „Denn dann fällt das Bein an die richtige Stelle, wo sich das Pferd anatomisch am besten um das Reiterbein biegen kann“, sagt Schulte Wien.
Wenn’s zwickt
„Bedingung für Stellung und Biegung ist, dass die Gelenke sich bewegen können und der Reiter an der richtigen Stelle sitzt. Dann können sich die entsprechenden Muskeln anspannen und die Faszien die Bewegung weiterleiten.“ Nur ist das nicht immer der Fall.
Wenn’s dem Pferd im Körper zwickt und zwackt, geht manchmal von heut‘ auf morgen gar nichts mehr. Es ist blockiert. Aber was heißt das überhaupt? „Bei einer Blockade stellt man sich immer vor, dass ein Gelenk blockiert ist“, erklärt Schulte Wien. „Aber wenn ein verkürzter Muskel eine Biegung nicht zulässt, dann ist das aus osteopathischer Sicht auch eine Blockade. Das können Muskeln sein, Faszien oder Bänder. Man muss immer die Weichteile mitbetrachten.“ Auch die Organe. Entzündungen, Narbengewebe und Magengeschwüre können dazu führen, dass sich das Pferd bei der Gymnastizierung unwohl fühlt – verständlich, wenn man an eine Joggingrunde mit Seitenstechen denkt. Auch Zahnprobleme wie Karies und Schmerzen im Kiefergelenk hindern den geschmeidigen Bewegungsfluss, genauso wie Tritte oder Stürze, die das Pferd zum Beispiel auf der Weide erlitten hat.
Was das Stellen und Biegen noch beeinflusst
Falscher Hufbeschlag oder zu lange Zehen führen zu Hufschmerz wie bei uns zu enge Schuhe. Der unpassende Sattel kann ein Stellen und Biegen so unmöglich machen wie ein unpassendes Zaumzeug, etwa durch ein zu enges Stirnband oder Genickstück. „Die Nervendichte am Kopf ist unglaublich hoch“, erklärt Schulte Wien. Wie soll mit Kopfschmerzen Stellung möglich sein? Gar nicht. „Die Nerven kommen aus dem Gehirn und gehen durch das Rückenmark. Am Übergang vom Kopf zur Halswirbelsäule ist die Nervendichte besonders hoch. Wenn hier eine Blockierung besteht, können alle Nerven, die von dort weiter durch den Körper des Pferdes verlaufen, irritiert werden. Das ist, als wenn ich mit dem Fuß auf dem Wasserschlauch stehe.“
Was hat Ansppanung mit dem Stellen und Biegen zu tun?
Wie beim Menschen umgeben enge Nervengeflechte die Organe, das vegetative Nervensystem arbeitet autonom und wird durch den aktivierenden Sympatikus und beruhigenden Parasympatikus gesteuert. Auf Dauer gesehen, sollten sich beide die Waage halten, denn so bleiben Körper und Geist leistungsfähig. Ein Pferd in völliger Anspannung wird hingegen weder losgelassen sein noch sich biegen oder stellen lassen. Jede Art von Druck auf die Nerven verhindert eine fließende Bewegung.
Und andersherum: „Wenn alles gut läuft, geht alles mit: die Wirbelsäule, die Muskeln, die Organe“, sagt Schulte Wien. „Dann ist die Bewegung, wie man so schön sagt, im Flow.“