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Warum die Aufwärmphase so wichtig ist

Damit‘s beim Reiten wie geschmiert läuft, muss das Warm-Up stimmen. Dressurausbilder Klaus Balkenhol sowie die Tierärzte Dr. Susanne Blessing und Dr. Karl Schweighofer erklären, worauf es wirklich ankommt. Ein Thema – zwei Sichtweisen.

Die Bereitschaft des Pferdes, sich vorwärts-abwärts zu dehnen, ist ein eindeutiges Zeichen für Losgelassenheit.

Aus der Sicht des Ausbilders: Klaus Balkenhol

"Jedes Pferd hat sein Wohlfühltempo"

Das Patentrezept für die perfekte Aufwärmphase gibt es nicht, dafür sind Pferde einfach zu verschieden. Manchen macht es nichts aus, wenn sich ihr Reiter schon auf der Stallgasse in den Sattel schwingt, andere Pferde brauchen hingegen einige Runden Schritt an der Hand, um erst einmal durchzuatmen. Genau genommen zählt schon das Putzen zur Aufwärmphase, die Massage mit dem Striegel regt die Durchblutung des Pferdes an. Für Dressurausbilder Klaus Balkenhol steht die Losgelassenheit im Fokus eines gelungenen Aufwärmprogramms.

Auch er beginnt bereits nach zehn Minuten im Schritt am langen Zügel mit der lösenden Trabarbeit. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Wohlfühltempo, das bei jedem Pferd ein anderes ist. „Das hängt vom Temperament und der Veranlagung des Pferdes ab. Man beginnt in dem Tempo, welches das Pferd von sich aus anbietet“, sagt Balkenhol. Manche Pferde joggen lieber, andere bewegen sich von Beginn an fleißig vorwärts. „Ein sehr temperamentvolles Pferd sollte man dennoch etwas bremsen, damit es nicht übermäßig losstrampelt.“ Es geht beim Warm-Up schließlich nicht darum, das Pferd müde zu machen. Es darf stärker atmen, aber nicht pumpen. Es darf warm werden, aber nicht schwitzen. Ein Pferd in seinem Wohlfühltempo macht den Eindruck, es könne stundenlang so weiterlaufen. Im Schritt darf das Pferd sich hingegen ruhig etwas anstrengen, ein fleißiger Mittelschritt ist angebracht.

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Laut Balkenhol braucht ein gut ausgebildetes Pferd etwa 20 Minuten, um sich zu lösen. „Dann ist es bereit für die weitere Arbeit gemäß der Skala der Ausbildung“, so der Dressurausbilder. Doch es kommt eben nicht nur auf die Dauer an. Erst wenn das Pferd dem Reiter zeigt, dass es bereit für die weitere Arbeit ist, kann es damit losgehen. Ein pendelnder Schweif, entspannte Kaubewegungen, abschnauben, ein lockeres Ohrenspiel, taktmäßige Gänge und die Bereitschaft, sich nach vorwärts-abwärts zu dehnen sind eindeutige Zeichen eines losgelassenen Pferdes. „Kann der Reiter die Zügel überstreichen lassen und das Pferd läuft nicht unter ihm weg, sondern sucht den Weg in die Tiefe, signalisiert das Losgelassenheit“, erklärt Klaus Balkenhol eine Übung zur Überprüfung, ob die Aufwärmphase abgeschlossen ist. „Die Dehnung ist außerdem wichtig, damit sich das Pferd im Rücken loslassen kann“, fügt er hinzu.

Aufwärmprogramm unter der Höhensonne?
Ein paar Minuten unter dem Solarium sparen Zeit beim Aufwärmen? Falsch! Die Muskeln sind dann zwar leicht vorgewärmt, aber die Durchblutung steigt erst in Bewegung. Außerdem relaxen Pferde gerne unter der künstlichen Sonne, schlechte Voraussetzung für die anstehende Arbeit.

Die besten Lektionen fürs Warm-Up sind laut Balkenhol große, gebogene Linien, wie Schlangenlinien durch die Bahn und aus dem Zirkel wechseln, die später zu kleineren werden, wie beispielsweise Volten, Kehrtvolten und durch den Zirkel wechseln. „Je nach Ausbildungsstand des Pferdes kann der Reiter im Schritt Schenkelweichen, Schulterherein und Traversalen verlangen.“ Besonderes Augenmerk legt Balkenhol dabei auf den Takt. Denn nur ein Pferd, das taktrein geht, kann sich wohlfühlen und loslassen.

Aus der Sicht der Tierärzte: Dr. Susanne Blessing und Dr. Karl Schweighofer

"Kalte Muskeln dehnen sich nicht gut"

Das Aufwärmprogramm gibt dem Körper das Startsignal. Es trimmt ihn auf Leistung. Der Kreislauf kommt in Schwung, die Atmung verstärkt sich und der Körper bekommt mehr Sauerstoff. „Die Körperkerntemperatur steigt, was die Energiebereitstellung verbessert“, sagt Dr. Susanne Blessing von der Pferdeklinik in Parsdorf. Aber nicht nur der Körper muss wissen, dass nun Sport gemacht wird. Auch der Kopf will vorbereitet sein. „Beim Aufwärmen schüttet der Körper Hormone und Endorphine aus, das Pferd schaltet auch psychisch vom Erholungs- in den Leistungsmodus um“, sagt die Tierärztin. Kommt das Aufwärmprogramm zu kurz, bedeutet das Stress fürs Pferd. Im Körper ist nicht genügend Sauerstoff vorhanden. Muss sich das Pferd trotzdem anstrengen, nutzt der Körper sauerstofflose Stoffwechselwege. Das funktioniert zwar kurzfristig, das Pferd wird aber schneller müde und braucht länger, um sich wieder zu erholen.

Außerdem drohen Verletzungen, wenn das Pferd vor dem Training nicht richtig aufgewärmt ist – und zwar nicht nur akute. Sogenannte Mikroläsionen, also Kleinstverletzungen, sind deshalb so gefährlich, weil Reiter und Pferd sie gar nicht sofort bemerken. „Wird das Pferd geschont, heilen sie auch wieder“, erklärt Dr. Karl Schweighofer, ebenfalls Tierarzt der Pferdeklinik in Parsdorf. Bei weiterer Belastung aber summieren sie sich. „Irgendwann ist ein schmerzhaftes Stadium erreicht“, so der Tierarzt. „Man spricht von ‚chronischen Ermüdungsschäden‘, typisch sind Fesselträgererkrankungen oder Arthrosen.“ Deshalb gilt vor jedem Training: Mindestens zehn Minuten Schritt! Dann könne sorgenfrei angetrabt werden. „Temperatur und Durchblutung des Gewebes verbessern sich durch kurze Trabphasen, ohne dabei Fehlbelastungen zu verursachen“, gibt Dr. Blessing als Tipp.

20 Minuten dauert eine Aufwärmphase in etwa.
10 Minuten Schritt am langen Zügel sind das Minimum.
250 Muskeln befinden sich im Pferdekörper und wollen vor der Arbeit aufgewärmt sein.

Im Schritt bekommen auch die Gelenke ihr Aufwärmprogramm. Das Zauberwort heißt „Synovia“, zu Deutsch „Gelenkschmiere“, eine Substanz, die von der Gelenkkapsel gebildet wird. „Durch die Bewegung beim Aufwärmen saugt sich der Gelenkknorpel wie ein Schwamm damit voll. Der Druck, der bei Bewegung entsteht, verteilt sich auf eine größere Oberfläche und wird besser abgepuffert. Das vermeidet Knorpelschäden“, sagt Dr. Schweighofer. Und auch Muskeln müssen warm sein, denn kalte Muskeln dehnen sich nicht gut. „Muskelfasern oder ganze Muskelbündel können reißen, wenn ein kalter Muskel plötzlich gedehnt wird“, warnt Dr. Blessing. Das kann passieren, wenn der Reiter sein Pferd direkt nach dem Aufsitzen stark biegt oder eng einstellt.

Über gutes und schlechtes Aufwärmen entscheidet nicht zwangsläufig die Dauer, sondern der Blutdurchfluss. Und der steigt nur in Bewegung. „Die Hormone und Botenstoffe, die dabei freigesetzt werden, weiten die Gefäße, es strömt mehr Blut hindurch“, erklärt Dr. Blessing. Dass man ein Pferd, das von der Weide kommt, weniger intensiv aufwärmen muss, als ein Pferd, das vor dem Training in der Box stand, ist ein Irrglaube. Das Pferd nutzt zwar auf der Weide die Möglichkeit, sich zu bewegen. Doch befindet es sich hier trotzdem eher im Erholungs- oder Fressmodus. Man muss es also immer noch in den Leistungsmodus bringen – körperlich und geistig. Die Ursache liegt im vegetativen Nervensystem, das lebenswichtige Funktionen des Körpers steuert: „Fressen und Verdauen werden vom parasympathischen System gesteuert, dem Gegenspieler des sympathischen Systems, das für die Leistung verantwortlich ist“, so die Tierärztin.

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in Reiter Revue 4/2016.