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Verweigerungen vor dem Hindernis verhindern

Der Rhythmus fehlt, die Distanz passt nicht, das Pferd scheut vor dem ungewohnten Hindernis – die Gründe für Verweigerungen sind vielfältig. Die Chance, sie zu verhindern, ist hingegen groß. Sechs Lösungswege gegen den ungewollten Stopp.

Wenn das Pferd den Absprung verweigert, muss der Reiter Ruhe bewahren und auf Ursachenforschung gehen.

Immer wieder „parken“ Pferde, teils plötzlich, teils vorhersehbar und nicht selten mit vielleicht auch überforderten Reitern. Doch wie kann es überhaupt zu einer Verweigerung kommen? Eine Frage, auf die es vielfältige Antworten gibt. Nur eines ist sicher: „Sehr selten bleibt ein Pferd aus schlichtem Unwillen vor einem Sprung stehen“, macht Eberhard Seemann deutlich. Vielmehr verlieren Pferde oft wegen schlechter Erfahrungen das Vertrauen, meint der Bundestrainer der Altersklasse Children.

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Meist sei aber die falsche Distanz der Grund, warum ein Pferd verweigere. Wenn der Absprungpunkt nicht stimmt, das Pferd also zu weit vom Sprung entfernt oder zu dicht davor ist, um die optimale Flugkurve zu finden, wirft es sprichwörtlich den Anker. Rettung in letzter Sekunde sozusagen. Denn nicht selten bewahren Pferde sich und ihre Reiter so vor schwereren Folgen. Dennoch sind Verweigerungen nie gut, vielmehr sind sie ein Fingerzeig, der deutlich macht, dass Reiter und Pferd gemeinsam an ihrer Parcoursreife arbeiten müssen. Die häufigsten Gründe für Verweigerungen und wie Sie ihnen vorbeugen können, erklären unsere Experten.

1. Disharmonische Distanz

Das Problem: Der Reiter schafft es nicht, den richtigen Absprungpunkt zu treffen.

Lösungsvorschläge: „Wenn es dem Reiter schwer fällt, den passenden Absprung zu finden, kann man es Pferd und Reiter leichter machen, indem man vor den Sprung eine Stange oder ein Cavaletti im passenden Abstand platziert“, weiß Eberhard Seemann. Das schult das Rhythmusgefühl des Reiters. Die Absprunghilfe sollte je nach Höhe des Sprunges und Größe des Galoppsprunges sechseinhalb bis sieben Meter vor dem Sprung liegen. Um Routine und Vertrauen zu bekommen, eignen sich nach Meinung von Eberhard Seemann Sprungreihen. Auch bei ihnen helfen Bodenstangen zwischen den Hindernissen dem Paar, die passende Distanz zum Hindernis zu finden. Doch wie sieht die perfekte Distanz eigentlich aus? „Der Absprungpunkt liegt etwa so weit vor dem Hindernis, wie das Hindernis hoch ist“, nennt Seemann eine simple Faustregel.

2. Schwindendes Selbstvertrauen

Das Problem: Der Reiter traut sich nicht mehr zum Sprung zu reiten, weil das Pferd schon öfter verweigert hat.

Lösungsvorschläge: Tiefer stapeln. „Überfordern Sie sich nicht“, sagt Eberhard Seemann klar. Er rät dazu, erst auf einem Niveau ganz sicher zu sein, ehe die Aufgaben schwerer werden. Das hat verschiedene Gründe: Wenn die Grundlagen des Reiters nicht stimmen und er im Parcoursreiten nicht geübt ist, drohen in schwereren Prüfungen Enttäuschungen und weitere Verweigerungen. Das Selbstvertrauen sinkt, ein erneuter Kreislauf beginnt. Hinzu kommt, „dass überforderte Reiter immer unsicherer werden“, meint Seemann.

Daher sei es wichtig, in leichten Parcours das Selbstvertrauen zu stärken. „Denn die Pferde merken, wenn der Reiter zögert und nicht mehr so aktiv reitet. Auch dann bleiben sie stehen“, weiß Merschformann. Lieber länger auf niedrigem Niveau reiten, ist daher Seemanns Credo. „Nur weil ein L-Parcours einmal super klappt, kann man nicht gleich M reiten“, stellt er klar.

3. Verwundbares Vertrauen

Das Problem: Das Pferd springt nicht, weil das Vertrauen zum Reiter fehlt. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben. Zum einen kann das Pferd schlechte Erfahrungen gemacht haben, beispielsweise wenn es mehrfach unpassend zum Sprung gekommen ist und sich übersprungen hat. Aber Achtung, hier beginnt ein Teufelskreis, erklärt Eberhard Seemann: „Springreiten hat sehr viel mit Vertrauen zu tun. Und jede Verweigerung kann einen Vertrauensverlust bedeuten. So kann es zu einer Kettenreaktion kommen, denn wenn das Vertrauen zum Reiter fehlt, bleibt ein Pferd schneller stehen.“

Lösungsvorschläge: Bei vertrauensbildenden Maßnahmen geht es nicht um die Höhe, stellt Seemann klar. Lieber die Anforderungen herunterschrauben, sprich: zunächst leichte Linienführungen reiten und die Hindernisse nicht zu hoch bauen. Um dem Pferd wieder Vertrauen zu geben, kann auch ein kurzfristiger Reiterwechsel sinnvoll sein, ergänzt Merschformann. „Ein erfahrener Reiter gibt dem Pferd neue Sicherheit. Außerdem kann er dem eigentlichen Reiter so viel besser Tipps geben, wie er das Pferd reiten soll“, ist der Springreiter überzeugt.

4. Fehlendes Grundtempo

Das Problem: Reiter und Pferd sind zu schnell oder zu langsam unterwegs und treffen deshalb die Distanzen nicht.

Lösungsvorschläge: „Rhythmus und Gefühl sind im Parcours besonders wichtig. Beides erarbeitet man sich in kleineren Parcours“, weiß Markus Merschformann. Für ihn ist entscheidend, dass der Reiter ein Gefühl für ein gutes Grundtempo hat. Das heißt weder zu schnell noch zu langsam zu reiten. „Mit Geschwindigkeit löst man keine Probleme“, stellt der Profi klar. Vielmehr könne es dadurch zu neuen Schwierigkeiten kommen, etwa wenn das Pferd den Sprung zu spät sieht. „Der Reiter darf sein Pferd nicht jagen. Vielmehr soll er die Verbindung zum Pferd intensivieren. Sprich mehr dransitzen, das Pferd einrahmen, am Schenkel haben und mit einem reellen Grundtempo zum Sprung hinreiten“, rät der Springreiter.

Dem stimmt Eberhard Seemann zu. Und in noch einem Punkt sind sich die beiden einig: Bei jeder Verweigerung muss der Reiter sich fragen, warum sie passiert ist. War es die ungewöhnliche Optik des Hindernisses? Oder wo lag der Reiterfehler? Vor dem Springen muss selbstverständlich sichergestellt sein, dass das Pferd fit ist. Gesundheitliche Probleme müssen Sie von vorne-herein als Grund für das Verweigern ausschließen können.

5. Holprige Höhenmeter

Problem: Bei leichten Anforderungen klappt alles vermeintlich gut. Bei schwereren nicht mehr.

Lösungsvorschläge: Hinterfragen Sie sich selbst. Geben Sie Ihrem Pferd die nötige Unterstützung? Kann Ihr Pferd die geforderte Höhe springen? Die Fragen sind provokant gestellt, weil die meisten Pferde sich und ihrem Reiter bis zu einer gewissen Sprunghöhe helfen können. „Ab der Höhe eines L- oder M-Parcours müssen die Pferde sich mehr anstrengen und da kann es sein, dass auch ein talentiertes Pferd mehr reiterliche Unterstützung braucht. Beispielsweise muss das Pferd bei höheren Hindernissen präziser zum Sprung geritten werden. Das Talent, aber auch die Erfahrung des Pferdes können ebenfalls ein Grund sein, weshalb ein Pferd verweigert“, weiß Seemann. Er unterscheidet zwischen talentieren Pferden und jenen, denen das Springen schwerer fällt. Ihre Technik kann man mit gymnastiziernder Springarbeit fördern. Ob aus ihnen allerdings ein Überflieger wird, bleibt fraglich.

6. Originelle Optik

Das Problem: Das Pferd verweigert, weil die Optik des Hindernisses ihm Angst macht.

Lösungsvorschläge: Eberhard Seemann empfiehlt in solchen Fällen, dem Tier den Sprung zu zeigen. „Gerade auf dem Turnier sollte der Reiter die Sekunden vor dem Start nutzen und an den Hindernissen vorbeireiten“, so Seemann. Er rät davon ab, frontal auf das Hindernis zuzusteuern. Viel besser sei es, seitlich an dem Sprung vorbeizureiten. „Das Pferd nimmt das Hindernis so ohne Druck wahr“, weiß er.

„Unerfahrene Pferde sollten auf unterschiedlichen Plätzen mit unterschiedlichem Hindernismaterial gearbeitet werden. Dann ist es irgendwann egal, ob der Unterbau rot oder grün ist“, gibt Markus Merschformann einen weiteren Tipp.

Keine Lösung: Bodenpersonal

Markus Merschformann plädiert für Hilfe von oben statt von unten. „Die Ursache des Verweigerns wird nicht behoben, wenn ständig Leute das Pferd von unten antreiben“, sagt der Springreiter. Differenziert aber, dass das Nachtreiben vom Boden bei jungen, unerfahrenen Pferden sinnvoll sein kann, um sie zum Überspringen eines ungewohnten Hindernisses zu ermuntern. „Bei einem erfahrenen Pferd, das auf L- oder M-Niveau unterwegs ist, macht das keinen Sinn. Reiter und Pferd finden so nicht besser zueinander“, stimmt ihm Eberhard Seemann zu. Da sei es besser, wenn das „Bodenpersonal“ leichtere Distanzen aufbaue, die Hindernisse niederiger setze oder mit Bodenstangen oder Cavaletti Hilfestellungen gebe. Klappt es auch dann nicht, kann man über einen kurzzeitigen Reiterwechsel nachdenken.

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in Reiter Revue 2/2017.