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Spanischen Schritt, Piaffe und Passage an der Hand trainieren + VIDEO

Piaffe und Passage: Für die meisten Reiter scheinen die Lektionen unerreichbar zu sein. Unsere Experten zeigen Schritt für Schritt, wie sie jedes Pferd lernen kann, ganz gleich, ob Shetty, Isländer, Reitpony, Warm- oder Kaltblut. Und zwar an der Hand!

Die Piaffe an der Hand zu üben, ist eine gute Vorbereitung für die Lektion unter dem Sattel und sorgt für Abwechslung im Training.

Hier ist sie: die Anleitung zu Spanischem Schritt, Piaffe und Passage – und zwar für Jedermann! So hat Dressurausbilderin Karin Heß-Müller bislang jedem Pferd die schweren Lektionen beibringen können. „Egal ob Shetty, Isländer, Reitpony, Warm- oder Kaltblut – jedes Pferd kann Spanischen Schritt, Piaffe und Passage lernen“, verspricht sie. Karin Heß-Müller beschreibt den Weg zu den Lektionen mit kurzen Einzelübungen, die schrittweise aufeinander aufbauen. Leonie Bühlmann vom Haus der Dressur in Münster demonstriert die einzelnen Lernschritte mit dem neunjährigen Lusitano-Hengst Bogavante. So erfüllen auch Sie sich den Traum von der ersten Piaffe – einfach ausprobieren!

Ausrüstung für die Handarbeit

- Trense plus Trensengebiss
- 1,50 Meter lange Gerte
- feste Schuhe
- Handschuhe

„Zunächst einmal gibt es keine einzig richtige Methode, einem Pferd etwas beizubringen“, sagt Karin Heß-Müller. „Wichtig ist nur, dass ich dem Pferd genug Zeit gebe, für das Tier nachvollziehbar handle und es nicht unter Druck setze.“ Zu Beginn ist Lob das Wichtigste: „Ich belohne gewünschtes Verhalten, unerwünschtes ignoriere ich.“ So kann das Pferd durch Ausprobieren herausfinden, was der Trainer möchte. „Bestrafe ich falsches Verhalten, traut das Pferd sich nicht mehr zu probieren“, warnt Heß-Müller. Sie lobt ihre Pferde am liebsten mit Stimme und sanftem Klopfen.

Die Goldenen Regeln für die Handarbeit

✴ Das Pferd probieren lassen.
✴ Keine Geschenke annehmen: Das Pferd soll die Lektionen nicht ohne Kommando anbieten, nur so bleibt das Training kontrollierbar.
✴ Positives Verhalten des Pferdes belohnen, unerwünschtes ignorieren.
✴ Nie mit einem schlechten Gefühl aufhören: Wenn etwas nicht klappt, eine sichere Übung abfragen und die Arbeit positiv beenden.

Leonie Bühlmann hat Bogavante bereits aus dem Stall geholt und aufgetrenst. „Bei der Handarbeit nehme ich dieselbe Trense und dasselbe Gebiss wie beim Reiten“, erklärt die Leiterin des „Hauses der Dressur“. Eine circa 1,50 Meter lange Gerte dient als Armverlängerung und wird touchierend eingesetzt. Handschuhe und festes Schuhwerk sind ein Muss.

„Egal ob Shetty, Isländer, Reitpony, Warm- oder Kaltblut – jedes Pferd kann Spanischen Schritt, Piaffe und Passage lernen.“ Karin Heß-Müller

Vorbereitung ist alles

Bei der Handarbeit steht der Trainer etwa auf Ganaschenhöhe neben dem Pferd. Die innere Hand fasst dabei den inneren Zügel nah am Gebissring. Die äußere Hand fasst den äußeren Zügel auf der inneren Halsseite – je nach Größe des Pferdes weiter oben oder unten. Die Gerte liegt in der inneren Hand, oberhalb des Zügels und zeigt mit der Spitze zur Bahnmitte. Karin Heß-Müller nennt diese Haltung die „Neutralstellung“ der Gerte. Der äußere Zügel ist auch bei der Handarbeit der führende Zügel. „Das ist genau wie beim Reiten“, sagt Leonie Bühlmann. Zum Aufwärmen geht sie mit dem Lusitano-Hengst ein paar Runden Schritt. „Zunächst bleibe ich an der Bande, um das Pferd gerade zu halten. Sie beginnt die Arbeit auf der „Schokoladenseite“ des Pferdes. Und dann kann‘s losgehen.

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Voraussetzungen

Wer es nun kaum noch abwarten kann, sein Pferd das erste Mal anzupiaffieren, muss sich in Geduld üben. „Es kann viele Monate dauern, bis das Pferd die ersten halben Tritte macht“, sagt Karin Heß-Müller. Und bevor es mit den schweren Lektionen losgehen kann, müssen Trainer und Pferd folgende Voraussetzungen erarbeiten:

1. Grundgehorsam

„Das Pferd muss sich gehorsam führen lassen, stehenbleiben, wenn ich stehenbleibe und sich konzentrieren können“, sagt Leonie Bühlmann. Karin Heß-Müller fügt hinzu: „Zu Beginn ist es sinnvoll, das Pferd an einem bekannten Platz zu arbeiten. Dann ist es ruhiger.“

2. Stimmsignale und Körpersprache

„Welche Signale ich benutze, ist egal“, sagt Leonie Bühlmann. „Wichtig ist nur, dass es immer die gleichen sind.“ Fürs Stehenbleiben, Antreten und Parieren gibt es jeweils ein eignenes Signal. Folgende Stimmsignale eignen sich für das Training:

Halten: „Haaalt“
Parieren: „Brrrt“
Antreten: „Komm“
Antraben: ein Mal Schnalzen
Angaloppieren: zwei Mal Schnalzen
Aufmerksam machen: langgezogenes Schnalzen. Karin Heß-Müller verwendet außerdem ein „How“ für das Abbrechen einer Übung und ordnet der Vorhand ein „Sssst“ zu.

Auch die Körpersprache des Trainers ist ein wichtiger Anhaltspunkt für das Pferd. Leonie Bühlmann macht bei der ganzen Parade zusätzlich eine halbe Drehung und schaut zur Hinterhand des Pferdes. Beim Antreten dreht sie sich wieder um und schaut nach vorn. Bei eiligen Pferden hilft es, wenn der Trainer langsamere Schritte macht: „Pferde sind harmoniebedürftig“, erklärt sie. „Sie passen sich der Geschwindigkeit des Trainers an.“

3. Vertrauen in die Gerte

Karin Heß-Müller bringt dem Pferd zunächst bei, stehenzubleiben sobald sie mit der Gerte dessen Kruppe berührt. Dazu geht sie mit dem Pferd in die Mitte der Bahn, legt die Gerte auf der Kruppe ab und bringt das Pferd mit Stimmhilfen zum Halten. Sobald das Pferd steht, lobt sie und wechselt mit der Gerte in die „Neutralstellung“. Schnell lernen die Pferde, dass sie keine Angst vor der Gerte haben müssen.

4. Trainingszustand

„Je nachdem, welche Lektionen ich mit dem Pferd an der Hand machen möchte, muss es die dafür nötige Ausdauer und Kraft haben“, sagt Leonie Bühlmann. „Ich kann ein Pferd, das keine Bauchmuskeln hat, nicht anpiaffieren.“ Junge Pferde können sich außerdem nicht so lange konzentrieren. „Da reichen schon zehn Minuten Training pro Tag.“

Vorübungen

1. Übertreten lassen

Leonie Bühlmann geht mit Bogavante auf den Zirkel und verkleinert diesen zur Volte. Mit dem äußeren Zügel bremst sie die Schulter des Pferdes aus und lässt die Hinterhand übertreten. „Diese Übung trainiert die Bauchmuskeln. Das sind die Sit-Ups fürs Pferd.“

2. Schultervor

An der langen Seite stellt Leonie Bühlmann Bogavante nach innen und lässt seine Schulter bei leichter Innenstellung in das Bahninnere weichen. Bei jungen Pferden genügt auch ein leichtes Schultervor. „So löse ich das Pferd und richte es gerade“, erklärt Leonie Bühlmann.

3. Übergänge und Rückwärtsrichten

Die Übergänge vom Schritt zum Halten und wieder in den Schritt müssen sitzen, dann ist auch Rückwärtsrichten kein Problem: „Wenn ich vom Schritt zum Halten durchpariere, bekomme ich etwas mehr Druck in die Hand“, erklärt Leonie Bühlmann. „Den behalte ich für das Rückwärtsrichten bei und treibe zusätzlich etwas.“ Träge Pferde tickt sie zusätzlich mit der Gerte an der Kruppe an.

4. Trab an der Hand

Auf einmaliges Schnalzen trabt Bogavante an. „Wenn ich aus dem Halten antraben möchte, gebe ich vor der Trab-Hilfe mein Signal zum Aufmerksam-Machen“, erklärt Leonie Bühlmann. „Ohne die Vorbereitung überrumpele ich das Pferd.“ Nach zwei bis drei Trabtritten pariert Leonie Bühlmann wieder durch zum Schritt. „Es geht nicht um das Traben an sich, vielmehr um das aktive Antreten“, so die Expertin.

Spanischer Schritt

1. Vorderbeine des Pferdes anticken

„Die erste Reaktion ist von Pferd zu Pferd unterschiedlich“, spricht Leonie Bühlmann aus Erfahrung. „Manche schlagen nach der Gerte, andere reagieren gar nicht.“ Karin Heß-Müller hat einen Tipp für dickfellige Pferde: „Reagiert das Pferd nicht, tippe ich das Bein an unterschiedlichen Stellen an. Manche Pferde reagieren am Fesselkopf, andere am Vorderfußwurzelgelenk.“ Sobald das Pferd reagiert, lobe ich. „Auch wenn das Bein zunächst nach hinten geht, wie beim Hufe auskratzen.“

2. Vorwärtstendenz erarbeiten

Das Bein-Anheben wird solange geübt, bis die Bewegung eine Vorwärtstendenz bekommt. „Da muss man Geduld haben“, sagt Leonie Bühlmann. „Irgendwann heben die Pferde ihre Beine mehr nach vorne. Das muss sofort belohnt werden.“ Karin Heß-Müller bringt ihren Pferden bei, der Gerte mit dem Bein zu folgen. „So kann ich das Bein auch länger in der Luft halten“, sagt sie. Das Anheben der Vorderbeine wird solange geübt, bis es sicher und auf Kommando abgerufen werden kann.

3. Der erste Schritt

Das Pferd hebt die Vorderbeine sicher abwechselnd an, die Bewegung ist nach vorne gerichtet. „Nun muss die Hinterhand mitziehen“, sagt Leonie Bühlmann. „Ich ticke das innere Vorderbein an und gehe einen Schritt nach vorne. Dann lobe ich das Pferd, ticke das andere Bein an und gehe wieder einen Schritt nach vorne.“ Karin Heß-Müller macht auf den größten Fehler im Spanischen Schritt aufmerksam: „Die Pferde werfen ihre Beine nach vorne, treten aber hinten nicht nach.“

Effekte: Gymnastizierung der Schulter, Entwicklung von Schulterfreiheit, Anheben der Schulter, Stärkung des Selbstbewusstseins bei ängstlichen Pferden, Verbesserung des Trabes durch mehr Aufwärtstendenz

Top: Anheben des jeweiligen Beines auf Kommando, Bewegung nach vorn gerichtet, Bein bleibt für einen Moment in der Luft, Hinterhand tritt aktiv nach

Flop: aggressives Stampfen oder Treten, Kopf zu tief, Hinterhand kommt nicht mit

Leonie Bühlmann erklärt im Video, wie sie den Spanischen Schritt an der Hand erarbeitet:

Piaffe

1. Schaukeln

Leonie Bühlmann richtet Bogavante rückwärts, um ihn aus der Rückwärtsbewegung heraus wieder im Schritt vorwärts antreten zu lassen. „Dadurch setzt sich das Pferd“, erläutert die Expertin den Effekt. Zunächst macht sie diese Übung aus dem Schritt, dann aus dem Trab.

2. Hinterbeine touchieren

Abwechselnd tippt Leonie Bühlmann im Halten Bogavantes Hinterbeine an. Der Hengst hebt sie an, so wie es in der Piaffe aussehen soll. Das Prinzip der Übung ist dabei das gleiche, wie beim Anheber der Vorderbeine als Vorübung zum Spanischen Schritt.

3. erstes Anpiaffieren

Die ersten halben Tritte kann man auf zwei Arten aus dem Pferd herauskitzeln. Bei Pferden mit viel Energie erarbeitet man sie aus dem Schritt heraus: „Dazu lasse ich die Schritte immer kleiner, jedoch nicht langsamer werden“, erklärt Leonie Bühlmann. „Dann touchiere ich abwechselnd die Hinterbeine, bis das Pferd halbe Tritte zeigt. Das belohne ich sofort.“ Aus dem Trab fällt es den trägeren Zeitgenossen leichter: „Dazu richte ich das Pferd rückwärts und lasse es aus der Rückwärtsbewegung heraus antraben“, erklärt die Expertin. „Ich touchiere die Hinterbeine und lasse das Pferd nur noch wenig nach vorne.“

4. Tempo

Das Pferd darf in der Piaffe mit jedem Tritt etwa einen halben Hufbreit nach vorne treten. „Trainierte Pferde können auch auf der Stelle piaffieren, die ersten Piaff-Tritte dürfen aber ruhig noch mehr nach vorne gehen“, sagt Bühlmann. Eine Vorwärtstendenz ist auch unter dem Sattel in Ordnung.

Effekte: Versammlungsfähigkeit steigern, Ausdruck der Bewegung verbessern

Top: taktreine Tritte, Schulter und Widerrist sind angehoben

Flop: hüpfende Hinterhand, Vorhand läuft „in den Boden“, Kopfeinstellung zu tief

Hier zeigt Leonie Bühlmann, wie sie Piaffe und Passage an der Hand trainiert:

Passage

1. Piaffe muss sitzen

„Die Passage wird immer aus der Piaffe heraus erarbeitet“, erklärt Leonie Bühlmann. Karin Heß-Müller nimmt die Passage erst unter dem Reiter in Angriff. „Der Trainer steht neben dem Pferd und korrigiert die Lektion vom Boden aus“, erklärt sie.

2. Anpiaffieren

Leonie Bühlmann piaffiert Bogavante an und lässt ihn wenige Tritte in der Piaffe. Der Hengst tritt auf der Stelle.

3. Vorwärtstendenz

Dann lässt sie ihn etwas mehr nach vorne. „Das Pferd muss aber den Ausdruck der Bewegung beibehalten“, macht Leonie Bühlmann deutlich. „Dazu treibe ich vermehrt von hinten.“ So entstehen schwebende, verkürzte Trabtritte.

Effekte: Versammlungsfähigkeit steigern, Muskulatur entwickeln

Top: ausdrucksstarke, verkürzte Trabtritte mit deutlich verlängerter Schwebephase

Flop: überhöhtes Tempo, Pferd „fällt auseinander“

Der Artikel ist erschienen in Reiter Revue 9/2015