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Sitzproblem: Eingeknickte Hüfte

Sitzfehler schleichen sich schnell ein – zum Beispiel die eingeknickte Hüfte. Dabei hat der falsche Knick schwerwiegende Folgen. Wie Sie im Lot sitzen und warum das so wichtig ist, klären unsere Experten

"Fahrradfahren" im Sattel: Eine gute Übung, um das Becken zu mobilisieren.

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Marionette. Am Kopf, an den Armen, Beinen und auch an der Hüfte sind Fäden befestigt, die Sie aufrecht halten. Nun wird einer der Fäden an der Hüfte gelöst. Sie knicken ein, geraten aus dem Gleichgewicht, müssen sich ausbalancieren, werden schief. Automatisch gleicht der Körper den Knick aus, die Schulter sinkt ab, die Wirbelsäule ist gebogen. Für einen Reiter resultiert daraus, dass er die einseitig belastenden Gewichtshilfen nicht entsprechend einsetzen kann, auch die Schenkelhilfen wirken nicht mehr wie gewünscht.

Experten-Tipp:
Legen Sie sich beim Reiten einmal ein Gelkissen unter die Hüftknochen. So kommen Sie aus der gewohnten Sitzposition heraus und schulen Ihre Körperwahrnehmung.

Doch warum knicken wir überhaupt ein? „Die natürliche Schiefe des Pferdes ist schon lange bekannt, aber auch bei uns Menschen gibt es dieses Phänomen“, sagt Sportwissenschaftlerin Dr. Christine Heipertz-Hengst. „Fast jeder weicht vom symmetrischen Körperbau ab, einige minimal, andere stärker. Je nach Grad der Abweichung unterscheiden sich auch die Konsequenzen. Manchmal haben sie keinerlei Auswirkungen, manchmal bringen sie sozusagen die Statik aus dem Gleichgewicht.“

Schief ist nicht gleich schief

Die Frage ist daher immer, woher die Fehlhaltung kommt. Hat sie anatomische Gründe wie zum Beispiel einen Beckenschiefstand oder eine Skoliose, also eine Seitkrümmung der Wirbelsäule? Oder ist es doch das vom vielen Sitzen allzu oft versteifte Iliosakralgelenk? Auch Fehlstellungen von Hals und Schulter können sich in der Hüfte widerspiegeln. Das ist aber kein Grund, das Reiten sein zu lassen. Im Gegenteil: Reiten fördert und fordert die aufrechte Haltung, bei orthopädischen Problemen ist physiotherapeutische Unterstützung jedoch zu empfehlen. Oder Unterricht bei einem Übungsleiter Prävention (www.reiten-als-gesundheitssport.de).

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Doch häufiger als die Anatomie sind schlechte Angewohnheiten oder muskuläre Dysbalancen Schuld an der eingeknickten Hüfte. „Häufig nehmen Reiter gar nicht wahr, dass sie nicht im Lot sitzen. Da hilft es, ihr Bewegungsgefühl zu schulen“, rät Heipertz-Hengst. Manchmal reiche es, gerade auf den Spiegel zuzureiten, um so das Problem zu visualisieren. Eine Videoanalyse hält die erfahrene Ausbilderin ebenso für sinnvoll. „Hilfreich ist es auch, sich bewusst selbst aus der Balance zu bringen. Bewegen Sie sich im Sattel. Setzen Sie sich einmal nach rechts, einmal nach links, beugen Sie den Oberkörper mehrfach in unterschiedlichem Maße vor, zurück und abwechselnd zu jeder Seite. Meistens sitzt man danach mittiger im Sattel“, sagt die Expertin.

Experten-Tipp:
Erinnern Sie sich immer wieder daran, dass Sie durch die Schwerkraft auf dem Pferd sitzen. Sie brauchen sich nicht mit den Oberschenkeln festklammern. Das killt nur die Beckenbeweglichkeit.

Aber auch ein verformter Sattel, ungleich eingestellte Steigbügel oder ein ungleich bemuskeltes Pferd können zum Einknicken in der Hüfte führen. Die Gründe sind also vielfältig, genauso wie das Auftreten dieses falschen Knicks. „Bei Lektionen, die Stellung und Biegung verlangen, knicken viele Reiter in der Hüfte ein. Also beim Schenkelweichen, beim Reiten von gebogenen Linien wie Schlangenlinien, Volten oder auch beim Angaloppieren – also als falsch verstandene Gewichtshilfe“, berichtet Heipertz-Hengst aus der Praxis. Sie hat außerdem eine weitere Beobachtung gemacht: „Im Schritt knickt der Reiter für gewöhnlich mit der inneren Hüfte ein. In den höheren Gangarten sieht das anders aus. Dann wird er durch die Fliehkraft aus dem Gleichgewicht gebracht und knickt dadurch reaktiv außen ein. Hier gilt es, die Muskulatur zu stärken.“ Dafür eignen sich Übungen am Boden (siehe Übungen unten).

Experten-Tipp:
Für den tiefen Sitz im Sattel dehnen Sie Ihre Hüftmuskulatur vor dem Reiten. Das geht in drei Schritten: Zunächst ziehen Sie das Knie zur Brust, halten es einige Sekunden in der Position, dann umfassen Sie die Ferse und ziehen sie zum Gesäß, abermals halten. Achten Sie dabei darauf, dass die Oberschenkel parallel sind und der Oberkörper nicht ausweicht. Zu guter Letzt dehnen Sie die Adduktoren im Grätschstand, indem Sie Ihr Gewicht mal zur einen und mal zur anderen Seite verlagern. Jeweils kurz halten.

Auf dem Pferd hilft es, sich immer wieder aufzurichten, ohne dabei in eine Überstreckung zu gehen. „Machen Sie sich immer wieder groß“, rät Heipertz-Hengst. Wer aufrecht sitzt, kann gar nicht einknicken. Wer nicht mitschwingt und der Biegung des Pferderückens nicht im Drehsitz folgt, schon. Für das Pferd ist ein geschmeidig sitzender Reiter natürlich angenehmer zu tragen. Aber nicht nur das. In der Regel versuchen Pferde die Schiefe des Reiters auszugleichen. Ihr Rücken wird so ständig ungleich belastet, sodass sich die Muskulatur unterschiedlich entwickelt und schmerzhafte Verspannungen im Pferderücken die Folge sein können. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz: Verspannt sich das Pferd, verspannt sich auch der Reiter immer mehr und versucht seine schiefe Körperhaltung durch Zügelhilfen weiter auszugleichen, was die Schiefe noch verstärkt. „In diesem Fall fühlt der Reiter vielleicht, dass er schief sitzt, kommt aber nicht aus den alten Mustern heraus. Da ist der Reitlehrer gefragt“, sagt Heipertz-Hengst. Dann liegt es an ihm, die Fäden in die Hand zu nehmen.

Mit unseren Übungen können Sie selbst zum Marionettenspieler werden. Probieren Sie es aus. Es wird sich lohnen!

Dieser Artikel ist erstmals erschienen in Reiter Revue 2/2016.