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Schluss mit schlackernden Schenkeln

Eine ruhige Schenkellage hat viel mehr mit Bewegung als mit Stillhalten zu tun. Schlackert das Bein allerdings unkontrollierbar umher, hat dies meistens einen anderen Ursprung als gedacht. Die besten Tipps der Profis für ein ruhiges Bein!

Da gehört er hin. Nur leider fällt es vielen Reitern schwer, dass das Bein ruhig liegen bleibt.

„Unruhige Schenkel sind eher symptomatisch für eine andere Baustelle im Sitz des Reiters. Und das Kommando ‚Schenkel ruhig halten‘ wird sich ziemlich sicher kontraproduktiv auswirken“, sagt Hannes Müller, Ausbildungsleiter der Deutschen Reitschule in Warendorf. So leicht ist es also nicht, sich einen klopfenden, rotierenden oder schlackernden Schenkel abzugewöhnen. Einfach stillzuhalten, ist weder leicht umsetzbar, noch sinnvoll. Denn wie Müller zu bedenken gibt, sei der Reitersitz nun mal ein relativ labiles Konstrukt und je weniger Erfahrung ein Reiter habe, desto mehr sei er damit beschäftigt, sein Gleichgewicht zu finden. Und gerade wenn die Balance fehlt, versucht der unerfahrene Reiter sich anders im Sattel zu sichern. Er hält sich am Zügel fest, klemmt mit dem Schenkel oder kompensiert die Disbalance durch eine feste Mittelpositur, die zu besagtem Wackelschenkel führt.

Auch Dressurausbilderin Sabine Becker versucht in ihrem Unterricht nicht, symptomatische Fehler zu korrigieren: „Im Fall des unruhigen Schenkels würde es nur dazu führen, dass der Reiter den Schenkel festklemmt“, und das wäre das andere Extrem, das keinesfalls erstrebenswert sei. Auch Becker ist davon überzeugt, dass Probleme mit der Schenkellage ihren Ursprung meist an ganz anderer Stelle haben: „Wenn der Reiter ausbalanciert sitzt und die Mittelpositur das richtige Maß an Stabilität und Beweglichkeit hat, dann kommt die richtige Schenkellage fast von selbst. Wenn die Mittelpositur hingegen starr ist, wackeln sofort die Beine.“

Locker aus der Hüfte

Hannes Müller hält es außerdem für sehr wichtig, sich als Reiter bewusst zu werden, dass es sich beim Hüftgelenk um ein Kugelgelenk handelt. Denn die Hüfte ist der Übergang von Reiterrumpf zum -schenkel und hier beginnt oft das Übel der Unruhe. Dafür lohnt sich ein kurzer Exkurs auf die menschliche Anatomie: Im menschlichen Körper gibt es fünf verschiedene Gelenkarten: Eigelenke, Sattelgelenke, Scharniergelenke, Zapfengelenke und Kugelgelenke. Das Kugelgelenk bietet die größtmögliche Beweglichkeit. Es hat einen kugelförmigen Gelenkkopf und eine dazu passend geformte Gelenkpfanne. Die drei Bewegungsachsen ermöglichen Bewegungen in sechs verschiedene Richtungen: Beugen und Strecken, Abspreizen und Heranführen sowie Drehung vor und zurück. Neben dem Hüftgelenk ermöglicht nur das Schultergelenk so vielfältige Bewegungen. Im Gegensatz dazu ist zum Beispiel das Scharniergelenk nur entlang einer einzigen Achse beweglich, vergleichbar mit einer Tür. Es sind nur zwei Bewegungen ausführbar: Beugen und Strecken. Scharniergelenke sind unter anderem der Ellenbogen und alle Gelenke zwischen den Finger- und Zehengliedern. Dieser Exkurs verdeutlicht eines: Das Hüftgelenk ist enorm beweglich, „und wenn der Reiter dies erfühlen kann, ist das viel wert“, betont Müller.

Die Steigbügel-Prüfung

Sich an einem gestreckten Dressursitz zu orientieren, hält er hingegen für problematisch. Besser sei, sich vorzustellen, auf einer liegenden Tonne zu sitzen und dann das Fuß- und Kniegelenk zu bewegen und zu winkeln, so dass sich automatisch auch die Hüfte bewege. So bekommt man ein Gefühl für das Umschmiegen des Pferderumpfes mit dem Schenkel. „Um die Tonne umfassen zu können, muss ich das Hüftgelenk als Kugel erkennen, das in alle möglichen Richtungen beweglich ist. Die Hüfte darf auf dem Pferd nicht festgestellt sein“, mahnt Müller. Auf der Tonne merkt der Reiter schnell, dass sich das Knie winkeln muss, um sie mit dem Bein zu umschmiegen.

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Auf dem Pferd ist das häufig nicht der Fall. Besonders zu lange Steigbügel können den Reiter regelrecht im Sitz blockieren und den Bügeltritt unmöglich machen. „Der Bügeltritt ermöglicht eine federnde Winkelung von Fußgelenk und Knie. Wichtig ist dabei, dass der Bügel wirklich unter dem Fußballen aufgenommen wird, nicht unter der Zehenspitze“, sagt Müller. „Gehen Sie mal auf Zehenspitzen eine Treppe hoch und dann nochmal auf dem Fußballen, da werden Sie sofort merken, wie viel einfacher es ist, auf dem Fußballen das Gleichgewicht zu halten.“ Oft sind übrigens auch zu lange Steigbügel die Ursache, wenn der Reiter mit der Zehenspitze immerzu nach ihnen fischt. Das sei ein häufiger Auslöser für einen unruhigen Schenkel, weiß Sabine Becker: „Es darf keine zusätzliche Mühe bedeuten, den Bügel aufzunehmen, wenn der Reiter das Bein locker aus der Hüfte hängen lässt. Muss der Schüler den Bügel bereits im Stehen suchen, kann er ihn in der Bewegung kaum stabil halten.“ Und auch Müller sieht im etwas zu kurzen Bügel ein kleineres Übel als im zu langen. „Er darf nur nicht dazu führen, dass der Fuß versteift oder das Knie hochgezogen wird und sich eine Tendenz zum Stuhlsitz entwickelt.“ Die Bügellänge sei dann korrekt, wenn Fußgelenk und Knie beweglich bleiben können und der Reiter sein Bein nicht durchstrecken muss.

Auch das Pferd bestimmt die Bügellänge mit

Die richtige Bügellänge ist abhängig vom Pferd, denn je nach Umfang des Rumpfes kann ein Reiter bei unterschiedlichen Pferden auch verschieden Bügellängen benötigen. „Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, dass der recht langbeinige Sönke Rothenberger bei dem doch eher schlanken Cosmo die Bügel etwas kürzer schnallt, damit er mit der Wade ans Pferd kommt“, vermutet Müller.

Doch zurück zum schlackernden Schenkel: Auch individuelle anatomische Gegebenheiten erschweren es manchem Reiter, den Schenkel ruhig zu halten. Ein runder Oberschenkel beispielsweise ist wesentlich schwerer korrekt in Position zu bringen, als ein flacher. Ersterer wird – bei gleicher Beinlänge – einen kürzeren Bügel benötigen als letzterer. Grundsätzlich sei es für den Sitz und vor allem für die Schenkellage gut, wenn Dressurreiter auch mal mit kurzen Bügeln in den leichten Sitz gingen und Springreiter mal mit längeren Bügeln ritten. Ohne Bügel zu reiten, würde hingegen nicht so viel nützen, wie oft angenommen, ist sich Müller sicher. Denn dann ist ein Federn in den Gelenken nicht möglich, weil keine Stütze existiert.

Die Lösung: Schenkel lösen

Eine weitere weit verbreitete Ursache für den unruhigen Schenkel rührt von einer falschen Vorstellung der treibenden Hilfen her, sind sich Hannes Müller und Sabine Becker einig. „Technisch richtig löst die hintere Oberschenkelmuskulatur den Impuls zum Treiben aus“, erklärt Müller. Er betitelt sie als „Treibemuskulatur“. Lokalisieren kann ein Reiter sie, indem er sich auf den Bauch legt und mit der Ferse Richtung Gesäß schwingt. Zum einen zeigt die Ferse in dem Moment auf die Treibemuskulatur, zum anderen erfühlt man sie. Eine Übung, die auch Bewegungsexperte Eckart Meyners empfiehlt. „Jede Umsetzung des Kommandos ‚Hacken runter‘ oder ‚mit der Wade treiben‘ führen nach meiner Erfahrung eher zu Verkrampfung und einer schlechteren Schenkellage und Hilfengebung“, sagt Hannes Müller.

Für das Pferd sind die treibenden Reiterhilfen bei einem unruhig liegenden Schenkel ein echtes Problem. „Das ist, als würde jemand ohne Unterlass auf dich einreden, ohne Punkt und Komma. Man kann irgendwann einfach nicht mehr konzentriert zuhören und verpasst sehr wahrscheinlich die wichtigen und relevanten Informationen.“ Ähnlich sei es mit einem unruhigen Schenkel, denn ein Pferd könne nicht unterscheiden, was ein Schenkeleinsatz im Sinne einer Hilfengebung sei und wann das Reiterbein unkontrolliert gewackelt habe.

Gerade in diesem Zusammenhang findet es Hannes Müller enorm wichtig, den Schenkel immer wieder gezielt vom Pferd zu lösen. „Den Druck wegzunehmen oder auszusetzen, schafft auf jeden Fall Wahrnehmung dafür, mit wie viel Druck der Reiter gerade unterwegs war. Treiben ist kein Dauerzustand. Der Reiter soll gezielte Impuls setzen. Das ist nur möglich, wenn der Schenkel auch gelöst wird“, macht Müller deutlich. Wenn der Reiter den Schenkel nicht löse, werde er sich dieser Impulse nicht bewusst, „und das Pferd übrigens auch nicht. Dauerdruck macht es letztendlich stumpf.“ Impulse dürften allerdings auch nicht zu ständigem Schenkelklopfen führen. Das hätte ebenfalls eine abstumpfende Wirkung.

Tempo herausnehmen

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für Reitschüler mit Sitzproblemen hilfreich ist, ein ruhigeres Tempo zu wählen“, erklärt Sabine Becker. Zum besseren Erfühlen einer korrekten Position lässt sie Schüler entweder untertouriges Tempo reiten oder viele Trab-Schritt-Übergänge. Die Schrittreprisen sollen dabei genutzt werden, um den Sitz aus dem eigenen Gefühl heraus zu korrigieren, vor allem aber auch dazu, um zu entspannen. „Mir ist wichtig, dass die Schüler parieren, ohne am Zügel zu ziehen, ihren Sitz dann neu sortieren und beim Antraben schön langsam versuchen, in die Bewegung hineinzuschwingen. Das hilft sowohl dem Reiter als auch dem Pferd, seine Balance zu finden.“

Außerdem bekommt der Reiter ein immer besseres Gefühl dafür, sein Pferd von alleine gehen zu lassen und nicht jeden Schritt, Tritt und Sprung heraustreiben zu müssen. Er kann sich stattdessen auf ein geschmeidiges Mitgehen in der Mittelpositur konzentrieren. Die schlackernden Schenkel haben weniger Beachtung verdient, als angenommen. Denn wer gut sitzt, bringt sie schnell zur Ruhe.

Der Artikel ist erstmals in der Februar-Ausgabe 2017 veröffentlicht worden.