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Nur Mut: Einhändiges Reiten ins Training einbauen

Den Mut zu haben, die Zügel einmal nur in eine Hand zu nehmen, kann magische Momente bewirken. Grand Prix-Ausbilderin Uta Gräf, Working Equitation-Trainer Stefan Schneider und Para-Reiterin Katrin Huber sprechen im Interview über die Effekte.

Nicht nur in der Siegerehrung reitet Uta Gräf gerne einhändig. Auch in ihr Training baut sie die einhändige Zügelführung ein.

Herr Schneider, was halten Sie von der einhändigen Zügelführung?

Stefan Schneider: Ich bin Fan davon und hab mich auch mit Spezialisten wie Reitmeister Martin Plewa darüber ausgetauscht. Der Reiter lernt dadurch ganz einfach, feiner einzuwirken. Martin Plewa sagt zum Beispiel, wenn er mit seinen Schülern fliegende Galoppwechsel übe, lasse er sie häufig einhändig reiten, damit sie das Pferd durch eine zu starke Handeinwirkung nicht stören. Das ist auch meine Erfahrung. Ich sage: Mit jedem klassisch ausgebildeten Pferd ist einhändiges Reiten möglich.

Bauen Sie es denn in die Ausbildung Ihrer Reiter mit ein?

Stefan Schneider: Ich lasse meine Schüler immer relativ früh einhändig reiten. Als erstes gebe ich den Tipp, die Hände eng zusammenzuhalten, wenn sie zum Beispiel auf dem Zirkel galoppieren. Und wenn das gut klappt, dann lasse ich sie die Zügel in eine Hand nehmen. Häufig sind sie erst ein bisschen unsicher und trauen sich nicht richtig, aber anschließend sind alle überrascht, wie gut es geht und wie feiner sie einwirken.

Uta Gräf: Ich lasse meine Schüler auf den Lehrgängen auch öfter mal einhändig reiten. Besonders Reiter, die ein bisschen gegen den Rhythmus rechts und links parieren. Sie sollen zwischendurch einhändig und dann wieder beidhändig reiten. Viele Pferde gehen dadurch kurz zufriedener und die Reiter spüren selbst, dass sie aus dem Sitz heraus unbewusste Bewegungen machen, die den Fluss stören.

Frau Huber, Sie sind ja vor Ihrem Unfall beidhändig geritten. Wie war für Sie die Umstellung?

Katrin Huber: Das ist ein bisschen schwierig, weil dazwischen 18 Jahre Pause lagen. Ich habe aufgehört zu reiten und konnte mir nicht vorstellen, mit der Einschränkung wieder anzufangen. Doch dann habe ich mal Barock-Reiter Rolf Janzen einhändig reitend in einer M-Dressur gesehen und das war der Hammer. Da habe ich gedacht: „Okay, das muss ich mal ausprobieren“.

Welche Auswirkungen hat einhändiges Reiten generell auf den Reitersitz? Verbessert es die Balance?

Stefan Schneider: In jedem Fall schafft es mehr Balance. Der Reiter reitet bewusster über den Sitz und weniger über die Zügelhilfen. Wenn er auf die gebogene Linie gehen will, muss er den Oberkörper bewusster mitnehmen.

Uta Gräf: Wobei man darauf achten muss, dass man sich im Oberkörper nicht verdreht, also zu stark dreht.

Stefan Schneider: Ich sage immer: Reiterschulter parallel zur Pferdeschulter.

Ist das die große Herausforderung beim einhändigen Reiten oder ist es eher die Überwindung?

Stefan Schneider: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es die Überwindung ist. Die meisten Reiter trauen sich nicht, einfach mal ein bisschen herumzuprobieren. Meine Erfahrung ist aber, dass es zu 95 Prozent funktioniert, wenn man es einfach mal versucht. Fühlt man sich unsicher, nimmt man halt schnell die zweite Hand wieder dazu.

Kann man einhändiges Reiten als eine Art Lügendetektor bezeichnen, der aufdeckt, wenn man zu handlastig reitet?

Stefan Schneider: Ja, auf jeden Fall.

Uta Gräf: Wenn ein Pferd grundsätzlich gut gymnastiziert ist und man seinen von der Hand unabhängigen Sitz überprüfen möchte, eignet es sich prima. Aber wenn das Pferd etwas auseinanderfällt oder stark ist und leicht gegen die Hand geht, muss man schon ein bisschen stellen. Das ist einhändig schwer. Deshalb mein Tipp: Wenn das Pferd noch nicht so durchlässig ist, sollte man es erst einmal mit beidhändiger Zügelführung stabilisieren und gymnastizieren. Und wenn es schön an beide Zügel herantritt, kann man es auch einhändig versuchen. Die Katrin hat ja nur die Möglichkeit, einhändig zu reiten und für sie ist es manchmal schwer, Anlehnungsprobleme mit ihrem Pferd einhändig zu lösen. Da finde ich es teilweise auch nicht so einfach, die passenden Tipps für eine schnelle Korrektur zu geben. Beidhändig ist es dann schon leichter.

Also heißt das, das Pferd muss schon einen bestimmten Ausbildungsstand haben?

Stefan Schneider: Ein ganz feinfühliges, sensibles Pferd wird es sehr schnell möglich machen. Bei anderen braucht es ein wenig, bis sie durchlässig genug sind. Pferden, die sich schnell hinter dem Zügel verkriechen, gibt einhändiges Reiten hingegen häufig einen positiven Impuls, weil sie diese sehr gleichmäßige Zügelführung unterstützt, sich an die Hand heranzudehnen.

Katrin Huber: Die Pferde müssen in der Anlehnung sehr fein sein. Sie dürfen nicht gegen die Hand drücken. Wenn ich eine halbe Parade gebe, ist die Hilfe nur ein Hauch, weil ich sehr dezent mit meinen Fingern einwirke und keinen so großen Spielraum habe. Ich kann meine Hände nicht flexibel in Höhe und Breite verändern. Pferde, die mit viel Handeinwirkung geritten worden sind, kann ich nicht nachreiten.

Wie können Sie denn überhaupt zwischen rechtem und linkem Zügel differenzieren?

Katrin Huber: Ich habe einen speziellen Zügel, den ich in der Länge verschieden einstellen kann. Ich reite zum Beispiel mit langer Einstellung ab, sodass mein Pferd auch in der Dehnungshaltung gehen kann. Je mehr Lektionen ich reite, desto kürzer passe ich den Zügel an. Da habe ich dann eine Grundeinstellung. Während des Reitens kann ich die Länge des Zügels nicht so einfach variieren, außer ich gehe mit der Hand ganz vor, aber ansonsten habe ich eine feste Einstellung. Ich greife den Zügel so, dass ich mit dem kleinen Finger und dem Daumen spielen kann. In der Traversale muss ich das Handgelenk stärker eindrehen, um mit dem äußeren Zügel mehr nachgeben zu können. Man braucht Fingerfertigkeit, sonst verkanten sich die Pferde.

Haben Sie denn das Gefühl, dass es gut ist, wenn Ihr Pferd auch mal beidhändig geritten wird?

Katrin Huber: Ja, um sie zu korrigieren ist es auch gerade bei meiner Stute gut, weil sie sich manchmal ein bisschen auf den Zügel legt.

Frau Gräf und Herr Schneider, wie häufig reiten Sie einhändig?

Uta Gräf: Ich baue es phasenweise in mein Training ein. Einfach mal zur Überprüfung, ob sich das Pferd gut trägt, aber dann habe ich auch mal wieder eine Phase, in der ich es vergesse und mehr auf andere Sachen achte. (lacht)

Stefan Schneider: Ich reite einige Pferde nur einhändig ins Gelände. Am Anfang musste ich mich etwas überwinden, aber jetzt überprüfe ich mich selbst damit. Zum Beispiel gibt es einen Weg auf dem die Pferde genau wissen, dass es links nach Hause geht. Da kann ich sehr gut testen, ob ich sie auch einhändig gerade halten kann, ohne dass sie von der Spur abweichen.

Wechseln Sie denn zwischendurch die Hände?

Stefan Schneider: Nein, die rechte Hand ist immer frei und die linke zügelführend.

Ist das in der Working Equitation vorgeschrieben?

Stefan Schneider: Wenn ich an einem Wettkampf in die Working Equitation teilnehme, muss ich in der schweren Klasse in der gesamten Prüfung einhändig reiten. Da muss ich mich beim Einreiten für eine Hand entscheiden und kann nicht mittendrin wechseln. Als Rechtshänder ist es einfacher, die linke Hand zu nehmen, weil ich mit rechts beispielsweise leichter das Tor auf- und zumachen kann. Linkshänder müssten es andersherum machen. Für sie muss der Parcours etwas umgestellt werden, weil es sonst nicht funktioniert.

Ehrlich? Das wird tatsächlich umgestellt?

Stefan Schneider: Ja, es gibt Reiter, die lassen sich den Parcours vor ihrem Ritt umstellen.

Bei welchen Lektionen in der Dressur macht denn das einhändige Reiten besonders viel Sinn?

Uta Gräf: In der Traversale finde ich es sinnvoll. Aber es funktioniert eigentlich bei fast allen Lektionen.

Stefan Schneider: In der Galopppirouette! Im Galopp würde ich es eher machen als im Trab.

Viele machen es ja auf der letzten Mittellinie in der Kür. Wie schwer ist es, das Pferd auf der Linie zu halten?

Stefan Schneider: Das ist sehr schwer! Vor allem, wenn ich schon vorher im Abwenden einhändig reite und mein Pferd dann gerade machen muss. Da kann man beidhändig schon deutlich mehr korrigieren.

Gibt es ein Gebiss, was sich besonders eignet?

Stefan Schneider: Ja, eine anatomisch geformte Stange. Man hat eine Studie in den USA gemacht, welche Gebisse maulfreundlich sind. Da kam heraus, dass eine leicht gebogene Stange für Pferde angenehm ist. Es ist eine alte Regel, eine Stange zum einhändigen Reiten zu nutzen. Damit kann man präziser einwirken.

Würden Sie denn sagen, dass es zu Hause im Training schon Sinn macht, die Hand auch mal zu wechseln?

Uta Gräf: Ich finde, es würde eigentlich nichts dagegensprechen. Besonders bei Reitern, die das nur zwischenzeitlich für ein anderes Gefühl ins Training einbauen. Mir selbst fällt es leichter, den inneren Arm für die Zügelführung zu benutzen als den äußeren. Deswegen würde ich es jetzt für mich auch nicht verkehrt finden, mal zu wechseln, um beide Hände in der Koordination zu schulen. Aber für Stefan, der auf dem Turnier nur mit einer Hand reiten darf, ist es wahrscheinlich nicht so sinnvoll zu wechseln.

Stefan Schneider: Es ist hundertprozentig so, dass es mit dem inneren Arm leichter fällt, als mit dem äußeren.

Würden Sie denn jedem empfehlen, einen Versuch zu wagen?

Katrin Huber: Ja, unbedingt. Es ist eine gute Erfahrung. Auf dem ersten Hufschlag mal kurz den Zügel in eine Hand zu nehmen, kann jeder. Aber auch mal in die Traversale zu gehen und zu spüren, wie ich mich im Körper bewegen und sehr fein mit der Hand vorgeben muss, ist schon spannend – auch fürs Pferd.

Wie lange sollte man denn beim ersten Versuch einhändig reiten?

Uta Gräf: Solange wie es sich gut anfühlt. Und wenn es ein bisschen schlechter wird, sollte man noch nicht gleich aufgeben. (lacht)

Das Gespräch führten Sabine Gregg und Sarah Schnieder.