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Die Skala der Ausbildung, Teil 3

Eine vertrauensvolle Anlehnung schaffen

Kennen Sie schon unsere Serie "Die Skala der Ausbildung leicht zu verstehen" mit Uta Gräf. Hier bekommen Sie die besten Tipps zu Punkt drei: die Anlehnung!

Vertrauensvoll dehnt sich Damon Jerome an die Hand seiner Reiterin Uta Gräf.

Es ist die Hand seiner Mutter, die ein Kind sucht, wenn es eine Stütze braucht. Ein Pferd, das die Hand seines Reiters ergreifen möchte, nimmt das Gebiss und den Zügel an. Nicht, um sich darauf abzustützen und seinen Kopf nicht selbst tragen zu müssen. Vielmehr sucht es Sicherheit und den Rahmen, um unter dem Reiter im Gleichgewicht bleiben zu können. Und genau da sind wir am Dreh- und Angelpunkt der korrekten Reiterei. Die Balance ist das A und O und sie ist abhängig von einer korrekten Anlehnung. Aber welcher Reiter kennt das Wort „Anlehnungsprobleme“ nicht?

Erst wenn das Pferd vermehrt Last auf der Hinterhand aufnimmt, richtet es sich automatisch langsam auf. Das ist der Weg zur optimalen Selbsthaltung.

Diese beginnen schon bei der Definition des Begriffs „Anlehnung“. „In den Richtlinien wird sie definiert als stete, weich-federnde Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul. Nichts anderes ist sie“, sagt Thies Kaspareit. So weit, so gut! Der Leiter der Abteilung Ausbildung und Wissenschaft der Deutschen Reiterlichen Vereinigung erkennt hier jedoch den Knackpunkt: „Von der Kopf-Hals-Haltung ist an dieser Stelle überhaupt nicht die Rede!“ Doch in der Praxis sieht das Verständnis anders aus. Hier sprechen die Reiter von Anlehnung und meinen eigentlich die sogenannte Beizäumung, in der sich die Stirn-Nasen-Linie der Senkrechten annähert und das Pferd „am Zügel geht“. Schon in der Heeresdienstverordnung „Hdv.12“ von 1937 sei die Rede davon gewesen, dass sich die Beizäumung als Folge von Takt, Losgelassenheit, Anlehnung und Schwung entwickle, sagt Kaspareit. Die Skala der Ausbildung in der heutigen Form wurde damals noch nicht aufgeführt, die Begriffe schon.

Darf ich bitten?

Bleiben wir aber erst mal bei der Anlehnung: Sie ist also nicht mehr und nicht weniger, als ein konstanter Kontakt zwischen den Händen des Reiters und dem Maul des Pferdes über den Zügel, der quasi das Bindeglied ist, um dem Pferd die Hand zu reichen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie übernehmen den männlichen Part beim Tanzen und Ihr Pferd den weiblichen. Sie sind die Person, die führt und die dafür zuständig ist, dass Sie und Ihr Partner sich miteinander im Einklang bewegen und nicht aus dem Gleichgewicht geraten. Der erfolgreichste deutsche Wettkampf-Tänzer aller Zeiten, Michael Hull, kann viele Parallelen zwischen dem Tanz- und dem Reitsport erkennen: „Es geht in erster Linie darum, seine Position in dem Zusammenspiel zweier Lebewesen zu verstehen, denn dann ist auch der Partner oder das Pferd leichter zu verstehen.“

Beim Tanzen wie beim Reiten geht es ums Führen und Geführt werden. „Jeder erinnert sich daran, wie sehr er das Ende der Musik herbeiwünschte, wenn er von seinem Tanzpartner so gefühlvoll über die Tanzfläche geschoben wurde, als ginge es darum, einen Sack Kartoffeln von A nach B zu schaffen“, verdeutlicht Hull. „Eine gute Führung vermittelt Halt und Sicherheit, verhindert gegenseitiges auf die Füße treten und sorgt dafür, dass es auf der Tanzfläche nicht zugeht wie beim Autoscooter.“

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Sowohl beim Reiten als auch beim Tanzen sind die Hände aber nicht dafür da, den Partner einfach nur zu lenken. Vielmehr geben sie Stabilität. Die Richtung gibt der gesamte Körper des Führenden vor. „Die Dame über die Muskelkraft der Arme zu führen, kostet zu viel Energie“, erklärt Michael Hull. „Es ist zwar möglich, aber auf Dauer nicht schön, denn Tanzen ist zwar Sport, aber vor allem auch Kunst.“ Und genau diese Leichtigkeit, die ein Tänzer nicht durch Muskelkraft in den Armen, sondern durch positive Körperspannung und -entspannung erarbeitet, braucht ein Reiter im Sattel, um mit seinem Pferd Harmonie zu erreichen. „Die Hände sind für uns lediglich die positiven Informationsträger. Sie geben Halt, Freiheit, Führung und Vertrauen“, beschreibt es Hull. Und genau das sollten auch die Reiterhände für das Pferdemaul sein.

Wie beim Tanzen liegt auch beim Reiten in beiden Händen des Reiters nicht immer der gleiche, leichte Druck. „Die Hand geht in der Bewegung des Pferdes geschmeidig mit und sollte ihm nur einen dauerhaften Kontakt bieten“, erklärt Pferdewirtschaftsmeisterin Uta Gräf. „Welcher Druck dabei auf Hand und Maul liegt, hängt immer von der Situation ab.“ Beim Springen oder im Gelände gibt ein etwas stärkerer Druck den meisten Pferden mehr Sicherheit. „Etwas breiter geführte Hände vor dem Hindernis unterstützen beispielsweise auch die Balance des Pferdes“, gibt Thies Kaspareit zu bedenken. In der täglichen Dressurarbeit wäre ein ähnlich starker Druck in den meisten Fällen hingegen kontraproduktiv. Wie stark der Druck aber generell sein sollte, hängt auch individuell vom Pferd ab. Jeder Reiter sollte sich aber immer wieder ins Gedächtnis rufen, die Verbindung so leicht wie möglich zu halten und dies auch immer wieder zu überprüfen.

Das Image der Beizäumung

Was viele unter Anlehnung verstehen, ist wie bereits erwähnt, eigentlich die sogenannte Beizäumung. Ein mittlerweile sehr negativ besetzter Begriff. „Sehr schade“, findet Thies Kaspareit, „denn richtig verstanden, ist sie nichts anderes als das Ergebnis richtigen Reitens.“ Ein Pferd, das vertrauensvoll ans Gebiss herantritt, wird automatisch im Genick nachgeben. Dadurch, dass die Hinterhand des Pferdes durch das konstante Treiben des Reiters aktiv unter den Schwerpunkt tritt, verkürzt sich der Rahmen des Pferdes automatisch, damit es im Gleichgewicht bleibt. Der Reiter kann die Zügel nachfassen, damit sich das Pferd in seiner Bewegung am Gebiss abstoßen kann. Die Stirn-Nasen-Linie ist in der Beizäumung nahe der Senkrechten. Natürlich ist es das, was in der täglichen Gymnastizierung des Pferdes angestrebt werden sollte. Allerdings, so macht Kaspareit deutlich, sollte sich der Reiter erst einmal nur der steten und weichen Verbindung zum Pferdemaul widmen, wenn er das Training beginnt. „Er muss sich gedanklich davon lösen, die Kopf-Hals-Haltung in den Vordergrund zu stellen.“ Das Pferd wird sie von ganz alleine einnehmen, wenn es vom Reiter korrekt ins Gleichgewicht gebracht wurde. Mit dem Zügel schafft er eine Begrenzung, um durch das aktive Treiben eine positive Spannung aufzubauen. Wenn Ihr Pferd nicht durchs Genick geht, sollten Sie sich also als allererstes fragen, ob es im Gleichgewicht ist. Dann treiben Sie gleichmäßig, um das Pferd dazu zu bringen, vermehrt unter den Schwerpunkt zu treten.

Alles in Bewegung

Wie hier deutlich wird, resultieren Anlehnungsprobleme meistens aus Beizäumungsfehlern. Oder anders gesagt: Es ist fast immer ein falsches Verständnis von der Einwirkung mit der Hand, die zu einem verkrampften, eng aufgerollten oder zu einem nach oben rausgestreckten Pferdehals und einem festen Pferderücken führen. Wer hier Probleme hat, sollte immer das Zusammenspiel seiner Hilfen überprüfen. Auch ein Pferd, das sich hinter dem Zügel verkriecht, tritt nicht vertrauensvoll an das Gebiss heran. „Dies ist ebenso meistens eine Folge einer zu starken Reiterhand, die nicht schnell genug nachgibt“, fasst Thies Kaspareit zusammen. Dass die Stirn-Nasen-Linie in der Beizäumung für kurze Momente auch hinter die Senkrechte kommen kann, ist hingegen auch ein Ergebnis des dynamischen Prozesses, in dem sich Pferdehals und -kopf in Balance bewegen. Der leichte Widerstand des anstehenden Zügels sorgt dafür, dass sich das Pferd vom Gebiss abstößt. Wenn es im Genick nachgibt, entsteht die Momentaufnahme der Stirn-Nasen-Linie hinter der Senkrechten. Wichtig ist dabei nur, dass der Reiter sofort mit der Hand nachgibt und so das Öffnen des Genickwinkels zulässt.

Sieh es relativ!
Was ist die relative und was die absolute Aufrichtung? Zwei Begriffe, die häufig falsch eingeordnet werden. Ganz simpel auf den Punkt gebracht: Die relative Aufrichtung ist das, was ein korrekt gerittenes Pferd in Selbsthaltung zeigt. Die absolute Aufrichtung ist das, was der Reiter mit seiner Hand herbeiführt, wenn er sein Pferd falsch beizäumt. Es geht natürlich noch detaillierter: In den „Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1“ heißt es, die relative Aufrichtung sei das Resultat einer guten Ausbildung. Das Pferd nimmt vermehrt Last auf der Hinterhand auf und richtet sich in Relation dazu auf. Bei der absoluten Aufrichtung trägt der Reiter wiederum durch die aktive Handeinwirkung dazu bei, dass das Pferd Kopf und Hals zwar hoch, aber auch eng trägt, weil es anatomisch dieser Aufrichtung in natürlicher Versammlung nicht gewachsen wäre. Das Pferd kann den Ganaschenwinkel in dieser Haltung nicht öffnen.

Wie hoch oder tief der Reiter seine Hände tragen sollte, hängt von seiner Anatomie und der Anatomie des Pferdes ab. Denn ein Reiter, der seine Hände beispielweise nach unten drücken muss, um die in den Richtlinien als korrekt beschriebene gerade Linie vom Ellbogen bis zum Pferdemaul zu bilden, verkrampft sich in der Schulter und im Oberarm. „Sobald der Reiter irgendwo blockiert ist, wirkt sich das sofort auf das Pferd aus“, erklärt Uta Gräf. Auch Haltungsfehler wie verdeckte oder geöffnete Fäuste führen zu Kommunikationsstörungen zwischen Reiter und Pferd. Das Zauberwort heißt „Flexibilität“. Die muss der Reiter mit Reaktionsschnelligkeit kombinieren. Denn nur, wer sich während des Reitens voll und ganz auf sein Pferd konzentriert, kann die weiche Verbindung konstant halten.

Hände vor dem Bauch ade: Der Reiter sollte sich als Faustregel eine unsichtbare Wand vor den Sattel denken, hinter die seine Hände nicht geraten dürfen.

„Es ist wie eine Waage, die man im Gleichgewicht halten muss“, sucht Thies Kaspareit einen Vergleich. Tänzer Michael Hull sieht beim Reiten das gleiche Zusammenspiel zweier Körper wie beim Tanzen: „Man schwingt gemeinsam auf einer Achse – einer neuen Achse.“

Alle Artikel der Serie "Die Skala der Ausbildung mit Uta Gräf" sind in einem Sonderheft erschienen, das Sie hier bestellen können.

Der Artikel ist erstmals erschienen in Reiter Revue 12/2015

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