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Wie lernen Pferde eigentlich?

„Dressurpferde sind am dümmsten“

Linda Weritz widmet sich der Ausbildung und Verhaltenstherapie von Pferden aller Rassen und Reitweisen. Für sie ist klar, dass meist Menschen den Pferden das Lernen erschweren. Welche Prinzipien es beim Erziehen von Pferden zu beachten gibt, verrät sie im Interview.

Pferde lernen vor allem voneinander, meint Expertin Linda Weritz.

Wie schnell lernen Pferde?

Linda Weritz: Sehr schnell, wenn der Mensch sich richtig verhält. Ich hatte noch am Wochenende ein Fohlenseminar. Es ist unglaublich, was Fohlen in drei Tagen lernen können. Vom Aufhalftern über das Hufe geben bis zum Führtraining. Je jünger die Pferde sind, desto größer sind die Lernsprünge, die sie machen.

Kann ein Fohlen zu vielen Reizen ausgesetzt sein?

Für Fohlen ist es sehr wichtig, dass sie immer wieder mit neuen Reizen konfrontiert werden, aber sie brauchen auch Ruhephasen. Genauso wichtig sind neutrale Phasen, in denen sie keinen neuen Reizen ausgesetzt werden. In diesen Phasen bilden sich die Synapsenschaltungen im Gehirn.

Wie wichtig ist Sozialkontakt für Pferde?

Das ist das Wichtigste überhaupt. Im Herdenverband lernt das Pferd Sozialverhalten und das richtige Flucht- und Fressverhalten.

Reicht ein anderes Pferd als Partner?

In der freien Natur leben Pferde in einem Verband von sieben bis 14 Tieren zusammen. Demnach ist eine Zweiergruppe nicht ausreichend, um Verhaltensmuster zu erlernen. Das Verrückteste ist jedoch, dass Absetzerfohlen einfach zusammengeworfen werden. In der freien Natur ist das so nicht vorgesehen. Und ganz ehrlich – würden Sie Ihr Kind in eine Kita ohne Betreuung geben? In einer Fohlenherde gibt es kein Tier, dass seine Erfahrungen an die Jüngeren weitergeben kann.

Also lernen Pferde voneinander?

Definitiv. Pferde brauchen ein Vorbild, an dem sie sich orientieren können. Nur so erwerben sie eine ausreichende Sozialkompetenz und übernehmen auch füreinander Verantwortung. Die meisten Pferde sind aber sozial verarmt. Das liegt vor allem daran, dass sie von uns Menschen in Watte gepackt werden. Häufig beginnt das schon im Fohlenalter und zieht sich das ganze Leben lang durch. Studien haben ergeben, dass Dressurpferde am dümmsten sind, da sie am wenigsten Reizen ausgesetzt werden und häufig auch nur in der Box stehen.

Hinzu kommt, dass ein erfahrenes Pferd einem jüngeren auch vermitteln kann „Hey, davor brauchst du keine Angst zu haben!“, beispielsweise bei einem Ausritt oder auch bei den ersten Wasserhindernissen als Führpferd.

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Lernen Pferde ihr ganzes Leben lang?

Auf jeden Fall. Pferde könnten es sich in freier Wildbahn nicht leisten mit den Jahren schlechter zu lernen. Zugleich ist es aber so, dass in jungen Jahren die Synapsen gelegt werden. Die Windungen im Gehirn lassen sich im frühen Alter sehr gut stimulieren. Geschieht dies, ist es leichter einen Einstein zu bekommen, als bei einem Fohlen, das sehr reizarm aufwächst.

Wie lange kann sich ein Pferd konzentrieren?

Ich bin mir sicher, dass Pferde sich länger konzentrieren können als die meisten Menschen denken. Sie können sich auch fünf Stunden konzentrieren. Wenn ich mit einem Pferd beim Verladetraining arbeite, hält es die Konzentration aufrecht, so lange das Training dauert. Die Frage ist viel häufiger, wie lange kann der Mensch die Konzentration halten? Denn oft ist er es, der seine Körpersprache vernachlässigt oder vergisst, im passenden Moment zu loben.

Wann ist man ein guter Lehrer für sein Pferd?

Es ist eigentlich ganz einfach: Man muss seine Sache gut machen, dann machen die Pferde es auch gut. Es gibt zum Beispiel keine sturen Pferde. Die Tiere reagieren nur unterschiedlich auf Stress: manche flüchten, andere kämpfen und die nächsten „frieren ein“, erstarren also. Das wird dann häufig mit Sturheit verwechselt, auch beim Verladen. Dabei haben die Pferde nur Angst. Das Einfrieren ist eine Reaktion, die das Überleben sichert. Bestenfalls sieht das Raubtier das „eingefrorene Pferd“ nämlich nicht.

Zudem muss man sich vor Augen führen, dass Pferde gar nicht so vorsätzlich denken können, dass sie beispielsweise immer bei Galopp-Pirouetten blockieren, bei den Einerwechseln aber nicht. Sie machen das nicht, weil sie den Reiter ärgern wollen, sondern weil entweder die Hilfen nicht klar genug sind oder weil sie selbst Koordinationsschwierigkeiten haben. Da empfiehlt es sich, nach anderen Lösungswegen zu suchen. Es muss nicht immer alles vom Sattel aus gemacht werden, manchmal sind kreative Lösungen die besseren. Auch die Doppellonge kann helfen.

Muss der Mensch ranghöher sein, damit das Pferd von ihm lernen möchte?

Grundsätzlich ja, aber das Problem ist wie „Rangordnung“ vom Menschen definiert wird. Viele setzen eine ranghohe Position mit Dominanz gleich. Das trifft es aber nicht, denn ein ranghohes Pferd übernimmt Verantwortung für seine Kumpanen und strahlt Souveränität aus. Es ist kurz gesagt der erfahrene Part in einer Herde, dem sich die anderen Tiere anvertrauen. Er überträgt die Stimmung, wobei es in der freien Wildbahn um Leben und Tod gehen kann.

Möchte der Mensch also ranghöher sein, muss er Führungskompetenz ausstrahlen und das ist nicht leicht, weil Pferde viel feinere Sinne haben. Aber es ist möglich. Dafür muss man sich nur bewusst sein, was man von seinem Pferd will und dies auch sehr klar signalisieren.

Der Artikel ist erstmals in der Juli-Ausgabe 2015 der Reiter Revue erschienen.