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Die korrekte Anlehnung, Teil II

Die Voraussetzungen für eine reelle Anlehnung

Ein gesundes Pferd, eine gut passende Ausrüstung und ein optimal in Balance sitzender Reiter sind die Säulen, damit ein Pferd wirklich ans Gebiss herantreten kann. Was es damit auf sich hat, erfahren Sie hier.

Eine lockere Halsmuskulatur offenbart in der Dehnungshaltung die Muskelrinne, die bei einer korrekten Anlehnung zu sehen sein sollte.

Voraussetzung 1: Ein gesundes Pferd

"Die anatomischen Wege müssen frei sein, um eine wirkliche Anlehnung zu erreichen.“ Pferde-Osteotherapeutin Beatrix Schulte Wien macht deutlich, dass Anlehnungsstörungen häufig ihre Auslöser in physiologischen Problemen haben, die nicht auf den ersten Blick zu sehen sind. Das Pferd muss nicht lahmen, kann aber durch Muskelverspannungen oder Blockaden gehindert werden, den Rücken aufzuwölben und an die Hand heranzutreten. „Deshalb ist es empfehlenswert, die Pferde nicht erst bei Rittigkeitsproblemen, sondern prophylaktisch etwa einmal im Jahr physiotherapeutisch und osteopathisch durchchecken zu lassen“, rät die Expertin. Wenn der Verdacht auf eine Blockade oder Verspannung besteht, sollte man dies in jedem Fall tun. Oft ist eine fehlerhafte Anlehnung sogar der Grund für diese. „Viele Reiter reiten schon junge Pferde nicht geduldig an die Hand heran, sondern beginnen früh, die Kopf-Hals-Haltung zu manipulieren“, sieht Schulte Wien in der Praxis. Diese Pferde verkrampfen, halten sich im Rücken fest und lassen den Reiter auch nicht in die Bewegung einsitzen. „Nur, wenn das Hinterbein aktiv vom Boden abschwingt, über den Rücken in die Hand, kann man ein Pferd überhaupt sitzen“, beschreibt Hubertus Graf Zedtwitz. Nur ein losgelassenes Pferd kann dies erfüllen. Und nur ein losgelassenes Pferd kann sich reell ans Gebiss herandehnen. Mit der Losgelassenheit geht außerdem einher, dass der Reiter sein Pferd vor den treibenden Hilfen hat, es weder triebig ist, noch davoneilt. Und all das basiert auf einem gesunden Pferd.

Auch Zahnprobleme können zu Anlehnungsstörungen führen. „Deshalb ist es nicht nur wichtig, mindestens einmal jährlich den Pferdezahnarzt ins Maul schauen zu lassen. Der Reiter sollte auch immer wieder kontrollieren, wie sein Pferd frisst“, rät Schulte Wien. Unwillen beim Fressen oder unsauberes Fressen können Anzeichen für Zahnprobleme sein. Und die wirken sich in der Regel auch auf die Anlehnung aus.

Die Anlehnung selbst zahlt übrigens darauf ein, das Pferd gesund zu erhalten. Denn Pferde sind eigentlich anatomisch nicht dafür gemacht, Reiter auf dem Rücken zu tragen. Durch das Heranschließen des Hinterbeins hilft der Reiter dem Pferd, sich auszubalancieren und Last von der Vorhand auf die Hinterhand umzuverteilen. Die Anlehnung bietet den Rahmen, um die Balance zu halten. Ist sie nicht gegeben, weil der Zügel durchhängt oder der Reiter mit der Hand eine enge Kopf-Hals-Einstellung einfordert, kann das Pferd sich nicht reell tragen. „Eine fehlende Anlehnung überlastet die Gelenke der Pferde genauso wie eine überzäumte Kopf-Hals-Haltung“, betont Beatrix Schulte Wien deshalb. Denn was die falsch beanspruchten Muskeln nicht tragen, müssen Sehnen und Gelenke kompensieren.

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Voraussetzung 2: Die passende Ausrüstung

Auch ein gesundes Pferd kann nicht über den Rücken gehen, wenn der Sattel nicht passt. Und dabei geht es nicht nur darum, dass er weder zu eng, zu weit oder zu lang sein darf. Er muss so liegen, dass er weder die Schulter blockiert noch den Schwerpunkt zu weit hinten hat. Das hat folgenden Grund: „Selbst der normale Bewegungsablauf im Trab und im Galopp ist für ein Pferd unter dem Sattel eine Herausforderung in Sachen Balance und Koordination“, erklärt Beatrix Schulte Wien. „Um dieser Herausforderung überhaupt gewachsen zu sein, muss der Reiter an einem anatomisch ganz bestimmten Punkt sitzen: und zwar über dem 15. Brustwirbel. Nur dann ist das Pferd in der Lage, den Rücken wirklich aufzuwölben. Denn das Gleichgewichtszentrum des Pferdes ist ungefähr am Punkt der zwölften Rippe, die darunter liegt“, erklärt sie. Der Reiter muss vom Sattel also senkrecht genau auf diesen Gleichgewichtspunkt gesetzt werden. Liegt der Schwerpunkt des Sattels zu weit hinten, wird das Pferd den Rücken nicht richtig aufwölben können und entsprechend auch den Brustkorb nicht so heben können, dass es sich aus dem Widerrist heraus selbst getragen an die Hand herandehnen kann. Der Brustkorb bleibt gesenkt und ein ebenfalls gesenkter Kopf führt unweigerlich dazu, dass das Pferd auf die Vorhand fällt.

Liegt der Sattel zu weit vorne, drückt er in die Schulter. Aber auch ein zu weit hinten liegenden Schwerpunkt verhindert eine korrekte Anlehnung.

Ein zu weit vorne liegender Sattel behindert die Beweglichkeit der Schulter und tut dem Pferd weh. Auch damit ist es nicht in der Lage den Rücken aufzuwölben, sich selbst zu tragen und entsprechend auch nicht, wirklich ans Gebiss zu treten. Manchmal stört auch der Sattelgurt und verursacht Druck, der es dem Pferd unmöglich macht, wirkliche Losgelassenheit zu erreichen.

Ein weiterer Faktor, den viele Reiter unterschätzen, ist das richtige Gebiss und die für das Pferd passende Zäumung. Bei letzterer ist nicht nur die korrekte Verschnallung ein Kriterium. Sobald ein Riemen drückt, wirkt sich dies negativ auf die Losgelassenheit aus. „Deshalb sollte man sehr aufmerksam testen und erfühlen, welche Art von Zäumung für das Pferd am besten ist“, macht Schulte Wien deutlich. Das lässt sich durch Ausprobieren herausfinden. „Pferde zeigen, wenn man wirklich drauf achtet, ob ihnen etwas unangenehm ist. Reiter übersehen es nur häufig“, sagt die Osteotherapeutin.

Gleiches gilt für das Gebiss. „Die Gebissweite und die -stärke müssen passen, damit sich das Pferd wohlfühlt“, sagt Deike Bräutigam von der Firma Sprenger. Der Gebiss-Hersteller hat bei der Entwicklung einiger Modelle eng mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover zusammengearbeitet, um die Gebisse entsprechend der Anatomie des Pferdemauls zu formen. „Die Gebissweite kann man mit einem Gebissweitenmesser ermitteln. Man kann sie aber auch überprüfen, indem man ein Gebiss einlegt, sich vor das Pferd stellt und es außen etwas auseinander zieht, um zu sehen, wie viel Platz zwischen Gebissring und Maulwinkel ist“, erklärt die Expertin. „Bei einer normalen Wassertrense sollte sich der Ring drehen können, ohne die Maulwinkel einzuengen, der Abstand zum Maulwinkel sollte aber nicht mehr als einen halben Zentimeter betragen.“ Bei festen Seitenteilen, wie einem Olivkopfgebiss, sollte der Ring direkt am Maulwinkel anliegen, ohne ihn einzuklemmen.

Etwas schwieriger ist es bei der Stärke. „Die Standardgrößen liegen bei 14 bis 18 Millimeter. Am besten fragt man den Pferdezahnarzt, wie er den Platz im Maul des Pferdes einschätzt“, sagt Bräutigam. Ihr Tipp für einen Selbsttest: Drei Finger übereinanderlegen und dort ins Maul schieben, wo das Gebiss liegt. Die Zunge dabei zur Seite schieben. Das Pferd beginnt automatisch zu kauen. „Wenn die Schneidezähne aufeinandertreffen und ich Druck auf meinen Fingern spüre, sollte das Gebiss nicht stärker als 16 Millimeter sein“, beschreibt sie.

Gebisslose Zäumungen eignen sich nur teilweise, um eine gleichmäßige Anlehnung zu erzielen. „Ich will nicht ausschließen, dass es funktioniert“, bleibt Hubertus Graf Zedtwitz offen, schränkt aber ein, dass die Anlehnung, wie sie in den Richtlinien für Reiten und Fahren der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) beschrieben ist, als Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul erklärt ist. Pferdefreundlicher ist ein gebissloser Zaum auch nicht in jedem Fall. Es kommt auf die Feinfühligkeit der Reiterhand an.

Ein weich in die Bewegung einsitzender Reiter, der weder mit den Beinen klemmt noch sich am Zügel festhält. Nur so kann ein Pferd ans Gebiss herantreten.

Voraussetzung 3: Der balanciert sitzende Reiter

Das Pferd kann sich nur an eine gefühlvolle Hand anlehnen. Und die haben wir nur, wenn wir ausbalanciert im Sattel sitzen.“ Beatrix Schulte Wien spricht damit aus, was jeden Reiter vor eine Herausforderung stellt: sich selbst im Sattel ins Gleichgewicht zu bringen und die Hilfen unabhängig voneinander zu koordinieren.

Um ausbalanciert zu sein, muss der Reiter in die Bewegung einschwingen können und darf sich nicht mit den Beinen festklammern. Mit der flachen Wade zu treiben, ist für viele gefühlt ein zu schwacher Impuls, doch nur so kann das Bein locker hängen. Das Pferd holt sich das Treiben quasi durch seine Bewegungen ab. „Der Titel des Buches von Eberhard Hübner ‚Schmeichelnder Sitz, atmender Schenkel, flüsternder Zügel‘ ist sehr passend“, sagt Beatrix Schulte Wien. „Der Schenkel soll ähnlich feine Impulse setzen wie die Hand.“ Um den klemmenden, quetschenden Schenkel zu vermeiden, ist es sinnvoll, mit Gerte zu reiten. Allerdings kann diese auch das Handgelenk blockieren. Die Zügelfaust soll aufrecht getragen werden, der Daumen liegt dachförmig obenauf. Mit Gerte ist diese Haltung schwer. „Deshalb ist es wichtig, die Gerte so zu halten, dass die Finger bei geschlossener Faust in einer Linie sind. Die Gerte selbst liegt locker auf dem Schenkel des Reiters und zeigt nicht nach hinten. Das blockiert das Handgelenk“, beschreibt Hubertus Graf Zedtwitz.

Ein locker am Körper liegender Oberarm schließt automatisch einen anstehenden Ellbogen ein. Dieser ist wichtig, um auch das Handgelenk locker zu tragen. Wer sich in dieser Position immer wieder verkrampft, sollte laut Beatrix Schulte Wien die Franklin-Bälle zur Hilfe nehmen. Legt man sich diese weichen Tennisball großen Gummibälle unter die Achseln, erzeugt man, um sie nicht zu verlieren, die leichte Muskelspannung, die der Reiter benötigt, um korrekt zu sitzen. Die Franklin-Bälle gibt es auch in anderen Formen, die das Körpergefühl schulen sollen. Die Idee für die Methode stammt vom Schweizer Sportwissenschaftler und Tänzer Eric Franklin. „Man sollte sie unter fachlicher Anleitung kurzzeitig einsetzen. Das schult das Bewegungsgefühl ungemein“, rät Schulte Wien. Ausbilder Hubertus Graf Zedtwitz rät außerdem, Kraft-, Balance und Koordinationsübungen zusätzlich zum Reiten zu machen. „Wer seine eigene Core-Muskulatur stärkt, unterstützt damit auch sein Pferd“, sagt er.

Viel zu häufig sehe man, dass Reiter durch hohe Hände und zu kurze Zügel versuchen, die eigene Dysbalance auszugleichen und das Pferd damit in eine Haltung zu zwingen. Deshalb betont Graf Zedtwitz umso mehr, an einer gleichmäßigen Verbindung zu beiden Zügeln zu arbeiten. Dafür bleiben die Hände konstant getragen über dem Widerrist und der Reiter erfühlt die Stabilität. Die Hände bewegen sich auch beim Leichttraben nur minimal. Sie sind die Konstante, an der sich das Pferd abstoßen kann. Der Rest des Körper ist in Bewegung, um sich auszubalancieren. „Treibt man sein Pferd nun geduldig und gleichmäßig vorwärts, wird es die Hand suchen“, spricht der Profireiter aus Erfahrung. Das kann auch mal einige Zeit dauern. Aber das Ergebnis fühlt sich umso besser an. „Man muss gewillt sein, sich zu verbessern. Denn die Anlehnung verbessert man, indem man seinen Sitz verbessert“, sagt Zedtwitz.