Zum Inhalt springen

Drücken Sie Öffnen / Eingabe / Enter / Return um die Suche zu starten

Die Stimmhilfe richtig einsetzen

Auf dem Turnier sind Stimmhilfen nicht zulässig. Denn mit der Stimme kann der Reiter großen Einfluss auf sein Pferd nehmen. Deshalb sieht es in der Praxis ganz anders aus – und das ist auch gut so! Unsere Experten erklären, wie Sie die Macht der Stimme richtig nutzen.

Werden Klopfen und Stimme als Lob im Training positiv verknüpft, kann man das Pferd später nur mit der Stimme unterstützen.

Ob kerniges Schnalzen, ein sanftes „Ho“ oder ein gerauntes „Braaaav“, „Priiiima“, „Guuuuuut“. Täglich und überall wird mit Pferden geredet, obwohl es eigentlich offiziell in einer Prüfung auf einem Turnier nicht erlaubt ist. „Wir Richter sind ja nun mal dazu angehalten, darauf zu achten, dass das Regelwerk eingehalten wird und das gilt natürlich auch für den Einsatz der Stimme“, erklärt Rolf-Peter Fuß, Vorstand des Pferdesportverbands Rheinland und Richter bis Grand Prix.

Was können Pferde hören?
Die amerikanische Forscherin Carol A. Saslow veröffentlichte 2002 eine Studie zur Wahrnehmung bei Pferden. Sie fand heraus, dass Pferde in Frequenzbereichen von 33.000 bis zu 55.000 Hertz hören können. Das bedeutet, sie hören auch sehr hohe Töne. Zum Vergleich: Menschen nehmen Geräusche nur mit einer Frequenz von 16 Hertz bis circa 20.000 Hertz wahr. Probleme haben sie aber, wenn sie kurze Geräusche lokalisieren müssen, daher hören manche Pferde im wahrsten Sinne des Wortes „Gespenster“ und erschrecken sich. Sie sind außerdem in der Lage, bestimmte Geräusche und Ereignisse miteinander zu verknüpfen.

In der Praxis ist es dann aber so, dass der Richter nur ahnden kann, was er auch tatsächlich mitbekommt. „Wenn jemand beruhigende Worte vor sich hin murmelt, bekomme ich das als Richter wahrscheinlich gar nicht mit. Aber wenn es laut und durchgehend hörbar ist, muss sich das schon auch in der Note niederschlagen“, mahnt Fuß. Wegen Einsatzes der Stimme habe er in den etwa 40 Jahren seiner Richtertätigkeit aber noch nicht erlebt, dass ein Reiter vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde und er hat durchaus Verständnis, wenn ein Reiter auch mit der Stimme einwirkt: „Natürlich gibt es Situationen, in denen ich als Pferdemann ganz klar Verständnis für den Einsatz der Stimme habe, aber als Richter muss ich eben anders handeln.“

Sie wollen mehr Tipps rund um die Ausbildung, Fütterung und Gesundheit Ihres Pferdes? Dann testen Sie Reiter Revue im Mini-Abo für 15 Euro.

Tonlage entscheidet

Dem Unterschied zwischen Turnier und Training tragen aber auch die Richtlinien Rechnung, denn hier ist die Stimme durchaus berücksichtigt und erwünscht: „Zur Kommunikation mit dem Pferd stehen dem Reiter die verschiedenen Hilfen und unterstützend die Stimme zur Verfügung. Bei der Stimme kommt es besonders auf die Tonlage an, also auf die ‚Stimmung‘, die beruhigend oder auffordernd vermittelt wird“, heißt es dort.

Mimik und Stimme: Pferde erkennen Emotionen
Im Juni 2018 fanden Wissenschaftler der Universität Tokio (Japan) bei einer Studie heraus, dass Pferde Emotionen bei Menschen durch ihre Stimme erkennen können. Dabei wurden ihnen auf einem Bildschirm negative und positive menschliche Gesichtsausdrücke gezeigt und eine, ihnen bekannte, Stimme vorgespielt. Entsprach der Tonfall der Stimme nicht den Emotionen auf dem gezeigten Bild, blickten die Pferde deutlich länger und scheinbar irritiert auf den Bildschirm als in einer übereinstimmenden Situation. Daraus schlossen die Forscher, das Pferde Mimik und Tonfall miteinander verknüpfen und deuten können.

Eine gute Stimmung erzeugen, das ist auch Reitmeister Hubertus Schmidt wichtig, wenn er seine Pferde anspricht: „Als erstes nutzte ich die Stimme, um zu loben oder auch, um zu beruhigen“, erklärt der Grand Prix-Reiter. Insbesondere, wenn er Dinge übe, die etwas knifflig seien und „ich gerade mal nicht eine Hand vom Zügel nehmen kann, um das Pferd zu klopfen“, Aber Schmidt rät auch gezielt und konsequent mit der Stimme umzugehen: „Zum Beispiel setze ich auch gerne ein kurzes, prägnantes Schnalzen zu Beginn der Piaffe ein. Da erwarte ich aber auch eine schnelle Reaktion vom Pferd. Wenn die nicht kommt, muss ich nachhaken, also deutlicher mit dem treibenden Schenkel werden oder das Pferd auch mal mit der Gerte antippen.“

Nicht zu viel Stimme

Andersherum sei es ihm aber auch schon passiert, dass er etwas mit einem Pferd geübt habe und bei Gelingen zur Belohnung durchpariert sei und mit der Stimme gelobt habe. Nach wenigen Wiederholungen sei das Pferd auf das verbale Lob durchpariert, obwohl es dies gar nicht sollte. Die Verknüpfung des Pferdes, etwas Bestimmtes zu machen, wenn ein akustisches Signal vom Reiter ausgeht, ist also oft schneller hergestellt, als dem Reiter lieb ist und birgt Verwechslungsgefahr: „Da muss ich aufpassen, sehr präzise sein und darf die Stimme nicht inflationär einsetzen“, mahnt Schmidt. Viel wichtiger ist ihm aber die entspannende und lobende Wirkung seiner Stimme: „Das darf man nicht unterschätzen und sollte man sich als Reiter durchaus zunutze machen, gerade aufgekrazte Pferde lassen sich durch die vertraute Stimme oft gut beruhigen.“

Tiefe Töne: Bessere Wahrnehmung!
Bereits 1983 erforschten Henry E. Heffner und Rickye S.Heffner an der Universität Kansas (USA) das Gehör von Pferden. Sie entdeckten, dass Pferde untereinander mit einer Frequenz von unter 4.000 Hertz kommunizieren, also selbst auch sehr tiefe Töne produzieren. So könnten Pferde zum Beispiel ihre Fähigkeit verlieren, sehr hohe Töne zu hören, ohne dass es entdeckt wird.

Letzteres ist auch Marie Ligges im Umgang mit ihren Schützlingen wichtig. Die Enkelin des legendären Fritz Ligges hat bei vergangenen Bundeschampionaten schon Springpferde in allen Altersklassen erfolgreich an den Start gebracht. Gerade in der Situation, mit jungen Pferden auf großen Turnieren unterwegs zu sein, schätzt sie den Einsatz der Stimme als sehr wertvoll ein: „Ich rede oft und viel mit meinen Pferden, aber nicht unbedingt im Sattel. Klar schnalze ich mal oder lobe die Pferde, aber vor allem zur Begrüßung und im Umgang rede ich sehr viel mit ihnen.“

Keine Stimmung vom Band
Katrina Merkies, Biologin an der Universität Guelph (Kanada), testete 2013 den Effekt der menschlichen Stimme auf das Pferd. Dafür ließ sie acht Pferde zusammen in einem Zirkel frei herumlaufen. Dabei maß sie alle fünf Sekunden deren Herzschläge und beobachtete das Verhalten der Pferde. Nach fünf Minuten betrat ein Proband, den die Pferde kannten, den Zirkel. Währenddessen spielte die Wissenschaftlerin vier Aufnahmen ab. Diese klangen positiv-hoch und tief oder streng-hoch und tief und liefen jeweils zehn Sekunden. Danach verließ der Proband den Zirkel und die Töne wurden erneut abgespielt. Das Ergebnis: Während die positiven Töne gespielt wurden, konzentrierten sich die Pferde deutlich stärker auf den Menschen im Zirkel und ihre Herzschlagrate sank. Ohne seine Anwesenheit hatten die Töne kaum einen Effekt. Die Pferde ließen sich also durch die Stimme in Kombination mit der Anwesenheit des Menschen beruhigen.

Gerade jungen Pferde würden sich über eine vertraute Stimme freuen, wenn sie in einer fremden Umgebung sind, sagt sie. „Wenn man in den Stall kommt, wiehern meine Pferde meistens. Obwohl … vielleicht liegt das auch an den Leckerli, die sie immer bekommen“, überlegt sie kurz und lacht. Letztlich ist sie aber fest davon überzeugt, dass die Ansprache der Pferde wichtig und förderlich ist: „Ich glaube schon, dass so eine persönliche Bindung zu den Pferden entsteht. Und ich habe auch schon bei sehr sensiblen Pferden beobachtet, dass sie sehr darauf reagieren, wenn sich zum Beispiel auf der Stallgasse mal etwas lauter zugerufen wird. Sie werden aufmerksam, beobachten das Ganze genau.“ Für einen Moment kann dann sogar Spannung entstehen. Umgekehrt entspannen sie sich, wenn sie von einer vertrauten Person in Ruhe und freundlich angesprohen werden. Marie Ligges ist sicher, dass der Einsatz von Stimme für die Pferde ein ganz wichtiger Bestandteil der persönlichen Beziehung zu ihren Bezugspersonen ist.

Stimme gibt Orientierung

Für Henrik Griese, Pferdewirtschaftsmeister und Nationenpreisreiter, erlaubt der Einsatz der Stimme, sich mit den Schenkel-, Gewichts- und Zügelhilfen auch mal ganz zurückzunehmen: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir die Stimme in vielen Situationen hilft, dem Pferd eine Orientierung zu geben. Also ein wenig zurückzukommen oder etwas energischer abzufußen. So kann ich das Pferd auch ein bisschen mehr selbst machen lassen und mich im Sattel mit der Einwirkung zurückhalten.“ Dadurch würden die Pferde zum Mitdenken angeregt. Es gebe dem Pferd mehr Selbstvertrauen, Herausforderungen zu meistern, ohne dass er als Reiter zu aktiv werden muss, erklärt Griese.

Er rät auch seinen Schülern, die Stimme einzusetzen. „Da tun sich viele aber echt schwer“, wundert er sich. „Dabei machen es die Besten doch so vor, zum Beispiel Ludger Beerbaum oder Marcus Ehning. Auch bei ihnen hört man mal ein dezentes Schnalzen oder ein 'Ho'", argumentiert Griese dann. Im Umgang mit Schülern ist ihm wichtig, durch die Stimme Stimmung zu schaffen: „Ich kann ja auch im Unterricht Akzente setzen, eben je nachdem, wie ich den Reiter erreichen möchte und auch das Pferd reagiert darauf. Ich glaube schon, dass nicht nur die Worte, sondern auch die Tonlage etwas vermittelt.“

Dieser Artikel ist ermals erschienen in Reiter Revue 10/2018.