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Die richtige Dehnungshaltung

Benjamin Werndl war am vergangenen Wochenende beim Weltcup-Turnier in Herning hocherfolgreich mit seinem Spitzenpferd Daily Mirror. Mit uns hat der Dressurausbilder von der Reitanlage Aubenhausen über die richtige Dehnungshaltung gesprochen.

An die Hand heran und über den Rücken - so soll eine korrekte Dehnungshaltung aussehen.

Warum ist die Lösungsphase so wichtig?

Beim Reiten wollen wir das Pferd ins Gleichgewicht bringen. Es geht darum, dass das Pferd sich hinten trägt und der Reiter vorne zum Loslassen kommt. So sehen auch die schwersten Lektionen am Ende ganz leicht aus. Am Anfang des Trainings lasse ich das Pferd ganz locker über den Rücken joggen. Der Reiter hat eine atmende Verbindung mit dem Schenkel und mit dem Zügel. Das Pferd soll sich fallen lassen und im Gleichgewicht sein. Es eilt also nicht, geht nicht auf der Vorhand. Vielmehr möchte ich den Rücken dehnen, ihn zum Schwingen bringen. Das ist die Voraussetzung für die versammelnde Arbeit.

Ganz wichtig ist, dass das Fallenlassen nicht mit einem Auf-der-Vorhand-laufen verwechselt wird. Auch im Vorwärts-Abwärts kann man das „Sich-Tragen“ miteinbeziehen. Das Gleichgewicht ist hier das zentrale Thema.

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Benjamin Werndl und Daily Mirror sind 2019 erfolgreich in die Weltcup-Saison gestartet.

Vielen fällt die Unterscheidung zwischen einer korrekten Dehnungshaltung und einem Auf-der-Vorhand-Laufen schwer. Wie kann man es unterscheiden?

Das ist eine gute Frage. Als Reiter bekommt man mit der Zeit ein Gefühl für das Pferd, spürt, wann es im Gleichgewicht ist. Wenn man sich noch unsicher ist, hilft ein geschulter Blick von unten, der einem die Unterschiede erklärt. Ganz wichtig ist, dass das Pferd zum Tragen kommt und der Reiter zum Loslassen.

Wie fühlt es sich denn richtig an?

Es fühlt sich so an, dass das Pferd mich mitnimmt. Ich muss nicht viel treiben. Die Gehfreude kommt vom Pferd, ich habe eine leichte Verbindung zum Pferdemaul. Quasi wie zwei Fäden, die nicht reißen sollen. Es ist ein ganz weiches Gefühl. Ziel ist, dass das Pferd über den Rücken schwingt. Dann wird es richtig bequem. Wenn es schwer wird, das Pferd auszusitzen, dann ist etwas nicht richtig. Vielmehr muss ich mich vom Pferd mitnehmen lassen und mich in den Sattel reinsaugen lassen können.

Über die korrekte Dehnungshaltung des Pferdes wird viel diskutiert. Wie sollte sie denn aussehen?

Die Dehnungshaltung ist eine Form der Gymnastizierung. Dazu gehört das „Sich-Fallenlassen“. Die Haltung hängt vom Pferd ab. Das Pferd soll sich aus dem Widerrist heraus in die Waagerechte nach unten vorne Vorwärts-Abwärts fallen lassen. Ich tue mir schwer damit, zu sagen, dass der Kopf genau an dieser oder jener Position sein muss. Dafür muss ich das Pferd kennen. Jeder Reiter sollte hier seinem Gefühl vertrauen.

Wir werden immer wieder gefragt, ob wir unsere Pferde eher hoch oder tief einstellen. Beides machen wir. Beides ist situativ richtig. Man muss das Pferd lesen. Wenn das Pferd versucht, sich nach oben herauszunehmen, dann nehme ich es eher etwas tiefer – vor allem am Anfang. Wenn ein Pferd hingegen eher dazu neigt, nach unten abzutauchen, dann versuche ich das Pferd in die Aufrichtung zu reiten. Ich möchte ja das natürliche Gleichgewicht des Pferdes finden.

Wann reiten Sie ein Pferd in Dehnungshaltung?

Ich mache es natürlich zu Anfang, um das Pferd im Trab zu lösen. Auch im Galopp ist ein Vorwärts-Abwärts wichtig. In der Arbeitsphase macht es meines Erachtens auch Sinn, ein Pferd sich immer wieder dehnen und strecken zu lassen. Das sorgt für Entspannung. Und auch am Ende reiten wir die Pferde im Vorwärts-Abwärts. Zum Ausjoggen.

Um Ausdruck zu entwickeln, ist die Losgelassenheit des Pferdes entscheidend. Sie ist für Benjamin Werndl das Fundament einer guten Ausbildung.

Kann es auch ein Zuviel an Vorwärts-Abwärts geben?

Ja, denn ich möchte mein Pferd auch nicht müde reiten. Jedes Pferd hat einen unterschiedlichen Bedarf. Das eine braucht eine längere Lösungsphase als das andere. Unser Grundsatz in Aubenhausen lautet: So lange wie nötig, so kurz wie möglich. Wenn mein Pferd von vorneherein losgelassen über den Rücken an die Hand herantritt, kann ich schneller in die Arbeitsphase übergehen. Wenn das Pferd sich nicht so locker anfühlt, dann dauert es länger. Manchmal reite ich an einem Tag auch nichts Anderes.

Was passiert denn im Pferdekörper, wenn das Pferd in Dehnungshaltung läuft?

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es beruhigend auf das Pferd wirkt, wenn es seinen Kopf tief nimmt. Die Pferde fressen in der Natur vom Boden aus. Das können sie nur, wenn sie sich entspannen können und keine Gefahr lauert.

Ich spüre beim Reiten, dass das Pferd sich durch die Dehnungshaltung entspannt. Und zwar nicht, wenn ich das Pferd runterziehe, sondern wenn es sich über den Rücken fallen lässt. Es soll von hinten an die Hand herantreten. Außerdem kommt der Rücken zum Schwingen. Das ist die Grundvoraussetzung für Ausdruck und Kadenz.

Es ist demnach auch ein gutes Mittel, um ein heißes Pferd zu beruhigen?

Absolut. Bei heißen Pferden ist der Grundsatz, dass ich zum Treiben kommen möchte. Erst wenn ich zum Reiten komme, beruhigen sich die Pferde. Wenn ein Pferd sich dann im Vorwärts-Abwärts fallen lässt und ich es mit meiner Wade nach vorne treiben kann, dann ist schon sehr viel gewonnen.

Brauchen Pferde eine „Mindestzeit“, um entspannen zu können?

Eine Mindestzeit gibt es nicht. Pferde, die es können, entspannen sofort. Auch die versammelnde Arbeit sollte nicht unentspannt sein. Das ist mir ganz wichtig. Wir wollen keinen Ausdruck auf einer angespannten Basis. Es soll eine positive Anspannung sein. Die Pferde sollen Ausdruck aus der Losgelassenheit entwickeln. Sie sollen in sich locker sein. Im Laufe der Ausbildung lernen die Pferde auf Knopfdruck zu entspannen. Ich muss mein Pferd an- und entspannen können. Ich wünsche mir, dass es im Aachener Dressurstadion entspannten Schritt geht, aber genauso auf geringste Hilfen in die Piaffe antritt. Das üben wir gezielt.

Wie händeln Sie es mit Ihrem Top-Pferd Daily Mirror? Wie viel Dehnungshaltung braucht er?

Ich reite am Anfang, am Ende und zwischendurch in Dehnungshaltung. Ich lasse mich da von meinem Gefühl leiten. Das gilt für alle Pferde, die ich reite.

Die Kraft des Loslassens ist stärker als die des Durchkommens.

Gibt es Übungen, um das Vorwärts-Abwärts zu verbessern?

Das Tempo ist entscheidend, wenn ich beispielsweise zu viel vorwärts reite, bin ich über dem Tempo. Tempounterschiede sind eine gute Übung, um das Tempo auch im Vorwärts-Abwärts besser kontrollieren zu können. Eine andere gute Übung ist das Schulterherein, so dass ich über den äußeren Zügel und den inneren Schenkel das Pferd zum Fallenlassen bringe. Wichtig ist, dass ich nicht am inneren Zügel festhänge. Auch Übergänge zwischen den Gangarten, vor allem zwischen Galopp und Trab, helfen den Pferden dabei, mehr über den Rücken zu gehen und sich fallen zu lassen. Wichtig ist, dass man dabei lieber einmal zu oft losgelassen hat als eine zu starre Verbindung zu halten. Die Kraft des Loslassens ist stärker als die des Durchkommens.

Nur im leichten Sitz?

Auch im Aussitzen.

Und auch mal draußen?

Ja, das ist sehr wichtig für die Pferde. Wir reiten so viel wie möglich draußen – auf dem Reitplatz, auf der Rennbahn und im Gelände. Generell arbeiten wir mit unseren Pferden maximal drei Tage am Stück an Lektionen. Danach gibt es einen Pausentag. Das heißt, dass die Pferde im Schritt ins Gelände gehen, an der Longe, im Aquatrainer oder beim Freispringen bewegt werden. Einen Stehtag gibt es bei uns in Aubenhausen nicht. Die Pferde kommen mindestens dreimal täglich raus. Abwechslung ist ganz wichtig. Die Pferde sollen Freude an der Arbeit haben. So wie wir auch. Da muss man sich etwas einfallen lassen. Das trägt zum glücklichen Sportpartner Pferd bei.