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Die korrekte Anlehnung, Teil III

Das falsche Verständnis von Anlehnung

Dass sich junge Pferde permanent einrollen, ist für viele Reiter in Ordnung. Dass Schlaufzügel bei Pferden, die den Rücken wegdrücken und sich herausheben zum Einsatz kommen, ebenso. Doch von Anlehnung kann dabei keine Rede sein.

Versuch, das Pferd in eine Position zu ziehen. Reitern, die so agieren, fehlt das Wissen, worauf Anlehnung basiert.

"Das Pferd kommt im Laufe seiner Ausbildung jedes Jahr einen Zentimeter näher an die Senkrechte heran – von vor der Senkrechten.“ Dieser alte Kavallerie-Spruch sei heute so ziemlich in Vergessenheit geraten, sagt Hubertus Graf Zedtwitz. Gehen junge Pferde zu eng, wird dies gerne damit entschuldigt, dass die moderne Zucht Pferde herausbringt, die sehr leicht im Genick sind. Der Fehler ist, dass die Reiter dies so hinnehmen. Denn auch heute sollte der alte Kavallerie-Spruch noch gelten. Dafür müssen die Reiter aber bereit sein, ihren Pferden die nötige Zeit zu geben, um eine reelle Anlehnung aufzubauen. „Wenn man toleriert, dass die Stirn-Nasen-Linie dauerhaft hinter der Senkrechten ist, akzeptiert man auch, dass die Bauchmuskeln nicht richtig arbeiten und der Rücken nicht trägt“, verdeutlicht Hubertus Graf Zedtwitz. Beatrix Schulte Wien geht sogar noch weiter: „Wenn ein Pferd am Anfang seiner Ausbildung eng geritten wird, hat der Reiter ein falsches Verständnis der Anlehnung. Denn auch ein junges Pferd mit einer ganz leichten Ganasche rollt sich nur auf, wenn der Reiter es mit der Hand dahin bringt.“ Stehe der Zügel zu Beginn des Anreitens nur leicht an, werde sich das Pferd vielmehr durch einen nach oben herausgehobenen Hals ausbalancieren und, wenn es sich unter dem Reiter wirklich wohlfühlt, langsam in die Dehnungshaltung kommen. Hubertus Graf Zedtwitz beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Reitkultur und verweist auf Remontenbilder von Anfang des 19. Jahrhunderts. „Dort ließ man die Pferde die Nase extrem vor der Senkrechten tragen, weil sie es von sich aus auch gar nichts anderes anboten. Es ist aber superschön zu sehen, wie sich diese Pferde im Laufe der Ausbildung verändert haben. Wie sich die Muskelgruppen bildeten und wie dies im Laufe der Jahre in einer Piaffe endete.“

Zedtwitz vergleicht die Ausbildung eines jungen Reitpferdes mit dem Schleifen einer Skulptur. „Die Ausbildung eines Pferdes ist wie die Arbeit eines Künstlers und ein rohes Pferd ist wie ein Steinblock, aus dem eine anmutige, feine Pferdefigur werden soll. Wenn ich am Anfang der Ausbildung zu viel von dem Stein abhaue, kann ich die Stücke zwar wieder drankleben, aber es wird immer ein kleiner Riss bleiben. Deshalb muss ich von Anfang an sehr behutsam vorgehen, um am Ende dieses stolze, mit Ausdruck geformte Pferd zu bekommen.“ Bei einem noch nicht gerittenen Pferd könne man schon vom Boden aus das Abkauen üben, das letztendlich den Weg für eine offene Ganasche und ein wirkliches Herandehnen ans Gebiss freimache, sagt Beatrix Schulte Wien. „Über ein vorsichtiges Agieren am Zügel erzieht man das Pferd dazu, zu kauen und den Mähnenkamm nach links und rechts zu kippen. Man gewöhnt das Pferd ans Gebiss und es empfindet das Gebiss dann auch als angenehm. Es merkt, dass sich beim Kauen und in der Bewegung ein Wohlgefühl entwickelt.“ Wann ein junges Pferd in der Lage ist, sich auch unter dem Sattel an die Hand heranzudehnen, hängt maßgeblich vom Sitz des Reiters ab. „Es ist normalerweise schon ziemlich schnell dazu in der Lage, vorausgesetzt, es fühlt sich unter dem Reiter wohl“, beschreibt Schulte Wien.

Pferde mit kurzen Rücken und kurzen, eher dickeren Hälsen fühlen sich oftmals eher fest an. Umso mehr neigen die Reiter dazu, sie in die richtige Position zu zwingen. Doch auch bei diesen Exterieurtypen ist der Schlüssel die Losgelassenheit. Denn selbst ein kurzes Fjordpferd ist in der Lage, seinen Rücken entsprechend seines Körperbaus aufzuwölben und sich an die Hand heranzudehnen, wenn man ihm die Zeit gibt, sich zu entspannen. Das gilt für alle. „Manchmal stupsen Pferde mit ihrem Maul nach vorne, um die Begrenzung zu erfühlen und werden dann schnell von ihren Reitern hart korrigiert“, sieht Hubertus Graf Zedtwitz. „Doch diese Pferde werden sich nicht mehr trauen, sich richtig an die Hand heranzudehnen.“ Leider gibt es auch im internationalen Dressursport zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass man trotz fehlerhafter Anlehnung hohe Noten in den Lektionen bekommen und weit vorne platziert sein kann. Es gibt aber ebenso die Beispiele, die belegen, dass eine reelle Anlehnung durchaus auch im Leistungssport an erster Stelle steht. Dennoch sagt Beatrix Schulte Wien, dass zu viele Reiter der Meinung seien, „ein hochbegabtes Pferd zeitsparend zu einer Leistung bringen zu können. Meine Erkenntnis ist aber, dass man heute eher länger braucht, denn je besser die Bewegungsqualität des Pferdes ist, desto mehr Kraft braucht das Pferd, um diese Bewegung unter dem Reiter entfalten zu können.“ Dafür brauche es vor allem ein Umdenken bei den Reitern – unabhängig davon, ob Profi oder Amateur. „Es gibt in beiden Gruppen Reiter, die sagen: ‚Ja, ich bin auch gegen Schlaufzügel, aber dieses Pferd geht nur mit Schlaufzügeln‘. Sie verkennen dabei, dass ihre Grundlage falsch ist“, sieht Schulte Wien immer wieder und sagt klar: „Gute Reiter brauchen auch bei schwierigen Pferden keine Schlaufzügel. Ihnen gibt die Anlehnung Erkenntnisse darüber, wo das Pferd Probleme hat.“

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Typische Anlehnungs-Probleme:

Ausnahmslos jeder Reiter wird in seinem Leben mit diversen Anlehnungsproblemen konfrontiert. Wie sie zu lösen sind, weiß der, der die Ursache kennt. Hier lesen Sie, was hinter fünf typischen Anlehnungsstörungen steckt und wie der Reiter richtig reagiert.

Das Pferd rollt sich ein

Vier Ursachen sind typisch dafür, dass sich ein Pferd aufrollt: ein unpassender Sattel, ein nicht ausbalanciert sitzender Reiter, eine zu starke Handeinwirkung oder fehlende Kraft und Balance des Pferdes. Osteotherapeutin Beatrix Schulte Wien erklärt: „Setzt der Sattel den Reiter zu weit nach hinten, kann das Pferd seinen Rücken nicht aufwölben und nicht mit dem Hinterbein unter den Schwerpunkt fußen. Der Reiter spürt, dass das Pferd sich nicht richtig schließt und treibt stärker. Dadurch, dass er aber zu weit hinten sitzt, rutschen seine Schenkel nach vorne und er sitzt im Stuhlsitz. Das Pferd kann seinen Brustkorb nicht anheben und lehnt sich nach vorne aufs Vorderbein. Es legt sich auf den Zügel, rollt sich auf und versucht sich damit zu entziehen.“ In diesem Fall hilft nicht nur ein passender Sattel. Der Reiter muss seinen Schwerpunkt neu finden. „Oft hilft es, Franklin-Bälle zu nutzen, um sich in eine neue Position zu setzen“, rät Schulte Wien und Hubertus Graf Zedtwitz ergänzt den Tipp, in allen drei Gangarten im leichten Sitz zu reiten. Die Verbindung zum Pferdemaul sollte gleichmäßig bestehen bleiben. Meistens dehnt sich das Pferd recht schnell vorwärts-abwärts und öffnet die Ganasche.

Das Pferd hebt sich heraus

„Herausheben erfolgt oft, wenn der Reiter eine unruhige Hand hat“, beschreibt Beatrix Schulte Wien. Auch eine zu starke Handeinwirkung oder ein unausbalanciert sitzender Reiter können hinter dieser Störung stecken, ebenso wie gesundheitliche oder Ausrüstungs-Probleme. Hubertus Graf Zedtwitz gibt auch hier den Tipp, sich durch den leichten Sitz in allen drei Grundgangarten neu auszubalancieren und wirklich zu fühlen, wie der Schwung der Bewegung im Steigbügel abgefedert wird. Denn nur so lässt der Reiter Knie und Oberschenkel locker. „Der Reiter muss auch beim Aussitzen so weich einwirken, dass er parallel zum langen Rückenmuskel mit dem Sitzbein nach vorne schiebt“, beschreibt Beatrix Schulte Wien das Mitschwingen der Mittelpositur, denn häufig heben sich Pferde gerade dann heraus, wenn der Reiter aussitzt. Auch hier empfiehlt sie den Einsatz von Franklin-Bällen unter den Sitzbeinhöckern. „Man schiebt sie über die Luft nach vorne, parallel zum langen Rückenmuskel. Die Pferde dehnen den Hals, weil sie den Rücken frei haben und den langen Rückenmuskel dehnen können.“

Das Pferd liegt auf der Hand

Meistens ein klares Gleichgewichtsproblem von Reiter und Pferd. Denn das Pferd sucht eine Stütze in der Hand. „Viele gut gerittene Übergänge helfen, das Pferd Stück für Stück in Balance zu bringen“, rät Hubertus Graf Zedtwitz. Natürlich muss auch bei diesem Problem im Vorfeld ausgeschlossen werden, dass der Sattel schlecht liegt und der Reiter unausbalanciert sitzt.

Das Pferd verwirft sich

„Jedes Pferd hat wie jeder Mensch eine bessere und eine schlechtere Seite“, beschreibt Beatrix Schulte Wien und sagt vereinfacht: „Klemmt die Reiterhand einseitig, weicht das Pferd mit dem Kopf aus. Das ist das Verwerfen im Genick.“ Es ist leider nicht damit getan, nur die Hand vorzugeben. Vielmehr geht es darum, die Schiefe des Pferdes zu erspüren. Die Kunst des Reitens sei es, durch ruhiges, gleichmäßiges Sitzen im Schwerpunkt mit Hilfe der Schenkel das Pferd in der Rippe geradezurichten, erläutert Schulte Wien. Wichtig ist, dass der Sattel den Reiter dabei nicht behindert: „Ein Flachsitzer gibt dem Reiter mehr Flexibilität, um den Schwerpunkt zu finden und sich auszubalancieren“, erklärt die Osteotherapeutin. „Sitzt der Reiter locker im Schwerpunkt, hängen die Schenkel in richtiger Position am Sattel herunter.“ Nur dann kann der Reiter fühlen, ob das Pferd mehr die rechte oder die linke Rippe herausdrückt. In dem Moment muss er mit der Schenkelhilfe einen Impuls setzen und durch das Vorwärtsreiten sein Pferd geraderichten. Ellbogen müssen leicht an der Taille sein.

Das Pferd ist zügellahm

Wenn das Pferd Taktfehler bekommt, weil es sich auf dem Zügel abstützt oder durch die Hand blockiert wird, spricht man von Zügellahmheit. „Die Störung liegt klar im Maul das Pferdes und ist nicht von jetzt auf gleich zu beheben“, sagt Beatrix Schulte Wien. Hier heißt es: Erst die Gesundheit des Pferdes und die Ausrüstung auf ihre Passform checken und dann zurück zur Basis. „Der Takt ist der erste Punkt der Skala der Ausbildung. Die Anlehnung ist in diesem Moment nicht entscheidend“, so Schulte Wien. Zunächst sollte man die Verbindung zum Pferdemaul so reduzieren, dass kein Gegendruck entsteht. Wenn der Reiter nun an seiner Balance arbeitet und seinen Schwerpunkt im Sattel gefunden hat, treibt er das Hinterbein gleichmäßig unter den Schwerpunkt. Denn ein ausbalanciertes Pferd wird keinen Grund haben, sich auf dem Zügel abzustützen und mit der Zeit eine reelle Anlehnung suchen.