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Interview: Dressurrichter und -ausbilder Hubertus Graf Zedtwitz

„Ich möchte die Motivation des Pferdes im Auge behalten“​

Grand-Prix-Ausbilder Hubertus Graf Zedtwitz hat über den sogenannten „fast track“ die Richter-Ausbildung abgeschlossen. Was ihn dazu bewegt hat, welche Herausforderungen er vor sich sieht und welche Vorstellung von Dressurrichten er hat.

Hubertus Graf Zedtwitz, Dressurausbilder und seit kurzem auch Dressurrichter.

Herr Zedtwitz, Sie sind Grand-Prix-Ausbilder, waren selbst als Reiter hocherfolgreich im großen Viereck unterwegs – wollten Sie auch schon immer Dressurrichter werden?

Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: „never ever!“

Sie haben offensichtlich Ihre Meinung geändert. Sie haben vor kurzem eine Prüfung zum Dressurrichter auf dem sogenannten „Fast track“ absolviert – woher kommt der Sinneswandel?

Ich möchte meinen Beitrag leisten, dem Sport etwas Gutes zu tun. Ich habe nicht nur wegen meiner Karriere, die ich im Reitsport gemacht habe, eine unheimliche Leidenschaft für dieses Thema. Und das bringt mich auch dazu, zu sagen, ich möchte das erhalten. Ich möchte das Gute in diesem Sport kultivieren.

Und das nun auch vom Richtertisch aus.

Natürlich. Wobei ich mir lange Gedanken gemacht, ob ich die bewertende Komponente in meinem Leben ausweiten möchte. Weil ich mich von der Bewertung anderer Menschen oder anderer Leistung gar nicht angezogen fühle, ganz im Gegenteil möchte ich mich davon eher frei machen.

Was ist aus Ihrer Sicht die Besonderheit an der Fast-Track-Richter-Ausbildung? Hatten Sie im Vorfeld Bedenken ob der Abkürzung, die Sie bei dieser Form der Richterausbildung einschlagen?

Ich sehe hier beide Seiten total. Erstens habe ich ein unglaublichen Respekt vor denjenigen, die sich über Jahre von E nach A nach L und weiter unter hohen persönlichem Einsatz und in kalten Reithallen hochgedient haben. Dieser Respekt ist jetzt noch größer als er ohnehin vorher schon war.

Auch der Respekt davor, Entscheidungen von einer halben Note Unterschied zu treffen. Man weiß ja, dass diese Reiterin oder dieser Reiter um vier Uhr morgens aufgestanden ist, um unter großem zum Turnier zu fahren, man weiß, dass derjenige privat Einsparungen gemacht hat, um das alles hinzukriegen. Und wenn man dann die halbe Note weniger gibt, macht das vielleicht den Unterschied zur Schleife oder nicht. Dann ist die halbe Note das Zünglein an der Waage.

Auf der anderen Seite möchte man den Leuten ein vollwertiges Protokoll bieten, damit sie eine Guideline und Ausbildungshilfe bekommen.

Immer wieder wird kritisiert, dass das Protokoll eben nicht weiterführend ist.

Ja und in dahingehend bin ich auch sehr demütig. Denn wenn man überlegt, wie schnell man den Kernpunkt der Kritik knackig und konstruktiv in ein passendes Wort oder einen Kommentar kriegen möchte, ist das super schwierig. Ich bin da, so glaube ich, gar nicht so schlecht drin, wenn ich an mein Feedback denke. Ich möchte natürlich, dass der Reiter erfährt, warum er die sechs oder sieben bekommen hat und er das verstehen kann. Und ich finde es auch wichtig zu sagen, dass eine schlechte Note kein Grund zum Aufgeben sein darf, sondern viel mehr ein Grund zu sagen, „komm‘ das war heute nichts und daran müssen wir jetzt arbeiten“.

Fühlen Sie sich durch die Fast-Track-Ausbildung gut genug auf all das vorbereitet?

Ich muss sagen, ich habe sehr gute Erfahrungen im Beisitzen gemacht und ich hatte mit Henning Lehrmann einen wirklich großartigen Tutor. Und wenn ich wieder die Gelegenheit haben sollte beizusitzen, werde ich das auch wieder tun. Das hat mir viel gebracht und ich fühle mich dahingehend wie in einem „work in progress“.

Wir hatten unglaublich tolle Referenten, ob das ein Dr. Carsten Munk ist oder eine Katrina Wüst. Da hat man uns schon die Besten zur Verfügung gestellt. Was diese Richter für ein Auge und für ein Gefühl haben, um eben nicht respektlos mit irgendwelchen Noten um sich zu schleudern, ist wirklich bewundernswert.

Henning Lehrmann, der in diesem Jahr auch bei den Olympischen Spielen richtet, war Tutor von Hubertus Graf Zedtwitz in der Richter-Ausbildung.

Empfinden Sie es als Herausforderung, die Emotionalität aus der Bewertung herauszulassen?

Das ist aus meiner Sicht eine sehr bipolare Sache. Auf der einen Seite möchte ich leidenschaftlich für den Athleten, also für den Reiter und das Pferd sein. Auf der anderen Seite möchte ich sachlich und realistisch eine Note geben. Ich hatte auch schon mal einen Ritt bei einem Testat, bei dem ich zu der Richtergruppe gesagt habe, „ich möchte jetzt eigentlich eine 10 geben“.

Und?

Die gab es dann auch. Das war ein Moment, bei dem ich mich nur noch zurückgelehnt habe und einfach Dressurfan war, weil diese Reiterin so toll in Harmonie mit diesem Pferd durchs Viereck schwebte. Da gab es andere Kritikpunkte, aber was Harmonie zwischen Reiter und Pferd anging, konnte man gar nicht an der 10 vorbei und das ist dann auch emotional. Aber die Emotionalität soll eben nicht die Objektivität und das Urteil verwässern.

Sie haben im Rahmen der Ausbildung bei Prüfungen aller Klassen beigesessen?

Bei E und A nicht. Aber wir haben bei Reitpferde-, Dressurreiter-, Dressurpferde- und Dressurprüfungen beigesessen.

Was war für Sie besonders schwierig zu bewerten?

Ich bin eigentlich versucht zu sagen, gar nichts. Dressur bleibt Dressur, ob das eine E-Dressur ist oder ein Grand Prix, und wir haben glücklicherweise diese unfassbar gute Ausbildungsskala und nach dieser wird bewertet.

Was kommt Ihnen am ehesten entgegen: Ihre Erfahrung als Trainer oder als Reiter?

Das ist eine echte Mischung. Ich bin der Meinung, man muss schon außergewöhnlich sein, wenn man nicht selbst geritten ist und sich gut in das Richten manövrieren kann. Manche Leute können das, aber das ist wirklich die absolute Ausnahme. Jemand, der es nicht gefühlt, nicht ausgebildet, nicht gelehrt hat, tut sich viel schwerer als jemand wie ich, der das sowohl geritten als auch ausgebildet hat und jetzt bewerten soll. Das ist einfach eine super Mischung.

Richter haben oft einen schweren Stand, wie haben Sie sich dem gewappnet, um auch mental gut mit zurecht zu kommen?

Gewappnet ist das falsche Wort. Jeder kann davon ausgehen, dass es mein Ziel ist, objektiv und gerecht zu bewerten. Wenn es zu Kritik kommt – und das ist schätzungsweise nicht so unwahrscheinlich – dann muss man verschiedene Faktoren zusammenzählen: den persönlichen Ehrgeiz desjenigen, der bewertet wurde, vielleicht mal einen Tick zu gut, dann mal ein bisschen zu schlecht. Das kann zu einer großen Diskrepanz führen und dann muss man versuchen, das auf einem fachlichen Level zu diskutieren bzw. zu belegen. Dazu gehört das Protokoll. Aber ein weiter Parameter ist, dass unsere heutige Gesellschaft es eher cancelt, zu diskutieren. Dass der Ton viel rauer geworden ist und unempathischer. Und dass Social Media in der Möglichkeit der Anonymisierung eine riesige Möglichkeit gibt, Aggressionen loszuwerden. Das sind Parameter, die ich mir in Erinnerungen rufen muss, um zu sagen, dass solch eine Kritik nicht nur persönlich gemeint ist.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in der Arbeit als Richter?

Die größte Herausforderung sehe ich darin, dass es im Dressursport schon immer irgendwelche Trends gab, mal war Leichtigkeit gefragt, dann kam mit der schwarzen Perle aus Holland der nächste Trend. Ich möchte keinen Hypes oder Trends stattgeben, ich möchte die Ausbildungsskala mit all ihren Komponenten und die intrinsische Motivation des Pferdes im Auge behalten.

Wann werden Sie das erste Mal am Richtertisch sitzen?

Angebote habe ich. Das ging so schnell, damit habe ich nicht gerechnet. Vorher hatte ich mich noch gefragt, wie das denn jetzt weitergeht. Aber ich hatte nach der Prüfung Warendorf noch nicht verlassen, da kam schon die erste Anfrage per WhatsApp. Die Frage ist, in welcher Intensität ich das machen werde. Es muss in meine berufliche Tätigkeit reinpassen. Und ich würde gerne moderat anfangen, denn man muss ja auch Kondition aufbauen. Im Moment ist es so, dass ich nach dem Richten einer Dressurprüfung nur noch ins Hotelzimmer gehen möchte. Man glaubt nicht, wie anstrengend das ist. Und ich kann sagen, taktisches oder subjektives Richten – wie es Richtern oft vorgeworfen wird – würde bei mir gar nicht funktionieren, weil ich mich so sehr konzentrieren muss, dass ich gar nichts lenken könnte.

Worauf freuen Sie sich am meisten?

Auf Ritte, bei denen ich sagen kann, ich bin wirklich stolz und bin richtiger Liebhaber. Weil es mir so einen Spaß bereitet, dieses Paar zu sehen. Und das aus der ersten Reihe.

Vielen Dank für das Gespräch.

Über die Richterausbildung

Die normale Richterausbildung dauert ein bis vier Jahre, sie unterscheidet sich in ihrem Aufbau nach Landeskommission. Nach einer Eingangsprüfung ist man zunächst Richteranwärter und sammelt als solcher Testate, in dem man an Dressur- und Springprüfungen mitgerichtet hat. Hat man die vorgeschriebene Anzahl an Testaten beisammen, kann man sich zur Richterprüfung anmelden und am Vorbereitungslehrgang teilnehmen. Prüfung bestanden: Dann darf man Dressur- und Springprüfungen bis Klasse L richten. Wer höher hinaus will, muss sich „hochdienen“, durch Beisitzen bei Richtern in höheren Klassen. Für angehende Richter mit goldenem Reitabzeichen, aber auch für Pferdewirte und Trainer gab es schon immer die Möglichkeit, gewisse Abkürzungen in der Richterausbildung zu nehmen.

Die Fast-Track-Ausbildung bietet die Möglichkeit, die Grundprüfung abzulegen und zwei Wochen später bereits die Prüfung zum Richter der Klasse S, jedoch nur disziplinspezifisch. Hannah und Helen Erbe, Dr. Annabel Frenzen, Jasmin Schaudt, Katrin Burger, Charlott-Maria Schürmann und Hubertus Graf Zedtwitz, die vor kurzem die Fast-Track-Ausbildung absolviert haben, dürfen künftig Dressurprüfungen bis zur Klasse S richten, aber keine Springprüfungen.