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Dr. Matthias Baumann: „Wir müssen handeln, nicht nur reden“

Dr. Matthias Baumann ist FEI-Tierarzt, Mannschaftsolympiasieger in der Vielseitigkeit und schockiert über die Bilder verfärbter Pferdezungen. Er fordert Veränderungen.

Dr. Matthias Baumann erklärt im Interview, wann Pferdezungen blau werden und fordert Sanktionen für das „Kraftreiten“.

Herr Baumann, wann verfärbt sich eine Pferdezunge blau?

„Das arterielle Blut wird in die Zunge gepumpt. Wenn das venöse, also das sauerstoffarme, Blut aufgrund eines Staus nicht zurückfließen kann, kommt es zu einem Anfüllen der Zunge. Dann ist in der Zunge vor allem das sauerstoffarme Blut, die Durchblutung ist gestört, man spricht von einer Ischämie. Die Zunge ist prall. Bis eine Pferdezunge blau wird, dauert es Minuten, nicht bloß Sekunden.“

Wie stark muss auf die Zunge gedrückt werden, damit diese sich verfärbt?

„Es ist eine massive Krafteinwirkung, die stattfinden muss. Zwei Gebisse pressen – wenn mit Kandare geritten wird – die Zunge an die Lade und üben Druck auf sie aus. Die Zunge ist – im Normalfall – ein sehr bewegliches, gut durchblutetes und aufgrund ihrer guten Innervierung auch ein sehr empfindliches muskuläres Organ. Lässt der Druck auf die Zunge nach, nimmt sie schnell wieder ihre normale Farbe an, weil das venöse Blut dann abtransportiert werden kann. Das Problem wird verschärft durch einen engen Nasenriemen. Das dies schmerzhaft für das Pferd ist, ist wohl unstrittig. Auf den bekannten Bildern sieht man deutlich das sogenannte Schmerzgesicht des Pferdes. All das darf beim Reiten nicht zu sehen sein.“

Wie können solche Bilder künftig verhindert werden?

„Durch gutes Reiten. „Kraftreiten“ muss bestraft werden. Im Fußball beispielsweise gibt es einen Video-Schiri. Warum können wir nicht auch im Reitsport Fachleute etablieren, die beurteilen, ob und gegebenenfalls wie stark ein Pferd Stressanzeichen zeigt? Da die Problematik gesundheitliche Relevanz hat, sollten das Tierärztinnen oder Tierärzte sein, die die Richter beraten. Das System ist ja nicht neu, man kennt das beispielsweise vom Vet-Check. Die Folge von „Kraftreiten“ könnte Punktabzug oder die Disqualifikation sein. Wir benötigen noch klarere Sanktionen. Wir haben ein sehr gutes Tierschutzgesetz, das meines Erachtens noch strikter zum Tragen kommen sollte. Man darf dem Tier keine Leistungen unter Schmerzen abverlangen. Diese Bilder dürfen einfach nicht sein und wir müssen jetzt Lösungen finden. Wir müssen handeln und nicht nur reden. Bei den Olympischen Spiele 2032 in Brisbane halte ich den Reitsport für gefährdet, wenn sich in unserem Sport nicht grundlegend etwas ändert. Wenn es weiterhin Tierschutzskandale in Serie gibt, sehe ich schwarz. Und zwar nicht nur für den Verbleib des Reitsports in der olympischen Familie."